Als die Carstens-Stiftung am 21. Dezember 1981 gegründet wurde, stellte die Forschung im Bereich Komplementärmedizin absolutes Neuland dar. Zwar hatten die Pflanzenheilkunde, die Ernährungs- und Ordnungslehre oder auch die Chinesische Medizin ihren festen Platz in der Medizingeschichte. Nur: Wissenschaftlich erforscht waren sie noch nicht. Dies aber ist erforderlich, denn wenn Ärzte auch etwas von Naturheilkunde verstehen sollen, müssen sie dies im Studium lernen. Für die Integration naturheilkundlicher Verfahren in das Medizinstudium, in die Universität generell sind Studien vonnöten, die im besten Falle von unabhängigen Institutionen gefördert wurden. Man benötigt saubere Studien mit Ergebnissen, die plausibel, nachvollziehbar und vorhersagbar sind, die sich wiederholen lassen.
In diesem Streifzug stellen wir das ein oder andere Projekt vor und lassen Weggefährten sowie aktuelle und einstige Projektleiter zu Wort kommen: Erfahrung für eine Medizin der Zukunft.
Die Ambulanz für Naturheilkunde der Carstens-Stiftung an der Universitäts-Frauenklinik Heidelberg
Projektleiterin Prof. Dr. Ingrid Gerhard
„Frau Professor Ingrid Gerhard hatte den Mut, diese und jene Methode in der Poliklinik anzuwenden bei gleichzeitiger wissenschaftlicher und statistischer Kontrolle; sie handelte nach dem Prinzip: „Prüfet alles und wählet das Beste“. (Frau Dr. Carstens zur Eröffnung der Ambulanz)
„Mit ihrer Stiftung hat Frau Dr. Carstens ein Werk geschaffen, das vielen leidenden Patienten neue Hoffnung gibt und viele Ärzte dazu ermutigt, konsequent auf dem Wege einer ganzheitlichen Medizin weiterzugehen. Frau Dr. Carstens hat sehr früh erkannt, dass es zwar sehr befriedigend ist, wenn man einzelnen Patienten durch die Methoden der komplementären Medizin wieder zu Gesundheit verhelfen kann, dass dies jedoch immer nur ein Tropfen auf einen heißen Stein ist, wenn es einem nicht gelingt, möglichst viele Ärzte so auszubilden, dass viele Patienten die Vorteile der Naturheilverfahren nutzen können. Um Ärzte und Wissenschaftler zu überzeugen, ist es jedoch nötig, auch die Naturheilverfahren wissenschaftlich zu begründen.
Unsere Patientinnen sind viel aufgeklärter und offener, als wir es oft wahrhaben wollen. Sie lernen, wieder auf die Signale des Körpers zu hören, und sind bereit, zunächst ungewohnte Lebensumstellungen oder Einschränkungen auf sich zu nehmen, um wieder ganz gesund zu werden.“ Prof. Dr. Ingrid Gerhard zur Eröffnung
Homöopathie in der Tiermedizin
Projektleiter: Dr. med. vet. Achim Schütte
1829 wurde die Homöopathie bei Tieren zum ersten Mal beschrieben. Dennoch gibt es im Vergleich zur Humanmedizin wenig klinische Studien. Angesichts sich häufender Berichte über Antibiotika- und Hormonmissbrauch in der Tiermast und die auch durch Fleischkonsum verursachten Antibiotikaresistenzen beim Menschen ist die Forderung nach Alternativen zu konventionellen Mehoden in der Tierheilkunde immer deutlicher zu vernehmen. Die Carstens-Stiftung förderte die Veterinärhomöopathie seit 1997 in mehreren Projekten.
Klinische Forschung in Schwarzenbek
Von 1987 – 1992 fanden an der Tierärztlichen Ambulanz Schwarzenbek Untersuchungen statt, die die Anwendbarkeit der Homöopathie in der tierärztlichen Nutztierpraxis überprüften. Neben den klinischen Studien in Schweine- und Rinderpraxis wurden einzelne Bestände homöopathisch betreut, eine Fallsammlung aufgebaut und die relevante veterinärhomöopathische Literatur erfasst. Bereits in dieser Phase wurden Studenten in die Grundlagen der Homöopathie eingeführt.
Landfrauen in Warendorf
1996 begannen einige Landwirtinnen im Kreis Warendorf, sich mit der Homöopathie auseinanderzusetzen und sie in ihren Betrieben einzusetzen. Die Carstens-Stiftung begleitete dieses Projekt, in dem insgesamt 49 Betriebe vertreten waren, wissenschaftlich von Juli 1998 bis 2004. Ziele des Projektes waren
- Möglichkeiten und Grenzen der Homöopathie in der Schweinehaltung aufzuzeigen und der wissenschaftlichen Überprüfung zugänglich zu machen
- die Tiergesundheit in den Betrieben durch eine ganzheitliche Betrachtungs- und Herangehensweise zu optimieren, hierzu zählt
- ein möglichst frühzeitiges Erkennen von Gesundheitsstörungen, und
- nach dem Abwägen der Symptome und der Schwere der Störung vorzugsweise auch eine ganzheitliche Behandlung durchzuführen. Hierdurch sollte
- die Verwendung von Antibiotika und anderen synthetischen Arzneimitteln auf ein Mindestmaß reduziert werden, um
- die Gefahr von medikamentösen Rückständen in Lebensmitteln zu reduzieren.
Aus diesem Projekt erwuchs ein von Dr. Schütte entwickelter praktischer Leitfaden zur homöopathischen Behandlung von Schweinen.
Integrative Pädiatrie
Projektleiter: Prof. Dr. Gustav Dobos
Die Carstens-Stiftung förderte über drei Jahre ein deutschlandweites Projekt mit zwei Zielen:
- Wirksame und sichere Therapien aus der Naturheilkunde und Homöopathie in die Pädiatrie zu integrieren und
- Kinder vor unnötigen Maßnahmen und Wechselwirkungen zu schützen.
Ob Salbei-Tee bei Halsschmerzen, Zwiebelwickel bei Mittelohrentzündung oder Apis nach einem Insektenstich – die Eltern jedes zweiten Kindes in Deutschland haben ihre(n) Kleine(n) zuhause schon einmal mit Pflanzenpräparaten, Globuli und Co. behandelt. Naturheilkunde und Homöopathie sind längst in den Kinderzimmern angekommen. Dagegen gibt es in Kinderkliniken kaum ganzheitliche Behandlungskonzepte im Sinne einer integrativen Pädiatrie. Denn: An objektivem Wissen darüber, welche komplementären Verfahren sich bei welchen pädiatrischen Krankheitsbildern anbieten, wie stark pflanzliche und homöopathische Mittel bei Kindern dosiert werden müssen, ob Wechselwirkungen mit konventionellen Arzneien bestehen usw., fehlt es noch an vielen Stellen.
Homöopathie und Naturheilverfahren sollen in der Kinderkrankenhaus St. Marien gGmbH in Landshut vor allem in der psychosomatischen Abteilung sowie bei der stationären Behandlung chronisch kranker Kinder begleitend eingesetzt werden.
In der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des Elisabeth-Krankenhauses Essen wird der Schwerpunkt auf Kopf- und Bauchschmerzen liegen, aber auch schwerwiegende, etwa neurologische oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, sollen hier künftig unterstützend behandelt werden.
An den Universitäten in ganz Deutschland fördert die Carstens-Stiftung studentische Arbeitskreise für Integrative Medizin, um den Studierenden den Kontakt mit komplementären Heilmethoden zu erleichtern. Diese Arbeitskreise können zukünftig die Grundlage für eine offizielle Institutionalisierung der Integrativen Medizin an den Hochschulen bilden.
Als bundesweite Vernetzung der Arbeitskreise hat die Carstens-Stiftung außerdem ein dreitägiges Forum geschaffen, in dessen Rahmen sich Studierende und Ärzte, die bereits integrativ-medizinisch arbeiten, zweimal jährlich zum gegenseitigen Austausch treffen. Während des Treffens werden nicht nur wissenschaftliche Vorträge von namhaften Experten, sondern auch von den Studierenden selbst erarbeitete Workshops angeboten.
Medizinsche Fakultäten werden unterstützt, die ihren Medizin-Studierenden das Wahlpflichtfach Homöopathie anbieten.
Für die Fertigstellung herausragender Arbeiten können mit den Fördermitteln an Natur und Medizin e.V. auch Stipendien vergeben werden – bis heute wurden auf diese Weise etwa 170 Doktorarbeiten gefördert.
Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin
Erfolgreiche Forschungsförderung an der Modellklinik in Essen
„Ziel ist die sinnvolle Verbindung konventioneller und naturheilkundlicher Medizin in Kombination mit einer Lebensstilveränderung, d.h. die Etablierung einer wirkungsvollen Integrativen Medizin“
Professor Gustav Dobos
Im Juli 1999 wurde unter Leitung von Professor Gustav Dobos die Abteilung Innere Medizin V „Naturheilkunde und Integrative Medizin“ an den Kliniken Essen-Mitte eröffnet.
Das Konzept
Wesentliches Konzept der Modellklinik ist die Verbindung von klinischer Versorgung, Forschung und Lehre. In der akut-internistischen Abteilung werden konventionelle Therapiemethoden und ausgewählte wissenschaftlich geprüfte Naturheilverfahren integriert angewendet. Die naturheilkundliche Versorgung enthält folgende Säulen:
- Hydrotherapie, z.B. medizinische Bäder, Güsse, Wickel, Waschungen, Massagen, Inhalationen, Hyperthermie (künstl. Überwärmung)
- Ernährungstherapie, z.B. Mediterrane Vollwertkost, Vollwert-Schonkost, Spezialdiäten, therapeutisches Fasten
- Bewegungstherapie, z.B. Krankengymnastik, Ausdauertraining, Qi-Gong
- Pflanzenheilkunde, z.B. Fertigarzneimittel und Tees, Mikrobiologische Therapie
- Einen besonderen Stellenwert nimmt die Ordnungstherapie ein, die gesondert beschrieben wird.
- ergänzende Verfahren, z.B. Manuelle Medizin, Neuraltherapie, Akupunktur
Kann regelmäßiges Blutspenden den Blutdruck senken?
Projektleiter Prof. Dr. Andreas Michalsen | Prof. Dr. Abdulgabar Salama
2011 initiiert, hat die Carstens-Stiftung die »Blutspende-Studien« an der Berliner Charité mit insgesamt 224.000 Euro finanziert.
Bei einer Blutspende handelt es sich praktisch um nichts anderes, als einen Aderlass, ein klassisches Verfahren der Naturheilkunde. Der wichtige Unterschied: Beim Aderlass wird das entnommene Blut entsorgt, bei der Blutspende kann das Blut jedoch anschließend noch medizinisch genutzt werden. "Unsere Studie adressiert gleich zwei eigentlich unabhängige Probleme von weltweiter Bedeutung: die Erfordernis nebenwirkungsarmer und kostengünstiger Therapiemöglichkeiten der Hypertonie und die zunehmende Knappheit von Blutkonserven. Patienten mit Bluthochdruck können durch regelmäßiges Blutspenden gleichzeitig sowohl sich als auch anderen Gutes tun", erläutert Professor Michalsen und kommt zu dem Fazit: "Damit ist eine neue Tür für das moderne Gesundheitswesen aufgestoßen."