Digitalisierung und Tradition verbinden
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Integrative Medizin Komplementärmedizin
Claudia Witt hatte von 2008 bis 2013 die Stiftungsprofessur für Komplementärmedizin der Carstens-Stiftung inne und wurde 2014 auf den Lehrstuhl für komplementäre und integrative Medizin der Universität Zürich berufen. In unserem Interview anlässlich des 40sten Geburtstages der Carstens-Stiftung spricht sie über die Chancen der Digitalisierung – gerade für die Integrative Medizin.
Am Universitätsspital Zürich leitet sie das gleichnamige Institut und engagiert sich an der Universität Zürich als Co-Direktorin der Digital Society Initiative für eine reflektierte Digitalisierung der Gesellschaft. Dieses Engagement und die konstruktive Kooperation ihrer Arbeitsgruppen in Zürich und Berlin, wird im internationalen Beitrag von Claudia Witt zur Berlin Science Week deutlich:
Welches war Ihr eindrücklichstes Erlebnis im Rahmen Ihrer Förderprojekte?
Claudia Witt: Ich plante vor über 10 Jahren an der Charité eine Studie zu Achtsamkeit und Akupressur gegen Menstruationsschmerzen und habe erstmals Betroffene als sogenannte Stakeholder in die Studienplanung einbezogen. Die Einbindung dieser Stakeholder hat für mich vieles verändert: Die jungen Frauen machten sehr deutlich, dass sie keine Achtsamkeitsübungen machen möchten und wenn Akupressur, dann aber bitte mit einer App. Dadurch bin ich sehr früh in die Forschung zu digitalen Gesundheitsanwendungen eingestiegen und binde seither systematisch Betroffene in meine Forschung ein. Wir waren ganz pragmatisch: wir haben die Akupressur – die sonst eher in einem traditionellen Kontext genutzt wird – in ein technisch modernes Umfeld transferiert. Auch wenn das einige Traditionalisten kritisch sahen; es hat funktioniert. Die Ergebnisse unserer randomisierten Studie gingen um die Welt.
Lassen Sie uns auf die nächsten 40 Jahre schauen: Welche Entwicklung sehen Sie im Bereich der Integrativen Medizin und was muss dafür getan werden? Was bedeutet für Sie eine Medizin der Zukunft? Wie können wir helfen und dazu beitragen?
Claudia Witt: Ich sehe ständige Innovation, mehr Self Care und die Individualisierung von Präventions- und Therapieangeboten. Die Digitalisierung kann diese Entwicklungen wunderbar unterstützen. Sie schafft einen breiten Zugang und hilft mit Methoden der künstlichen Intelligenz, die Angebote an die jeweilige Person anzupassen. Integrative Medizin – wo konventionelle Medizin und Komplementärmedizin sinnvoll kombiniert werden – wird es in der Zukunft nur noch geben, wenn die Komplementärmedizin sich hier mitentwickelt. Egal ob Apps, elektronische Patientenakte oder digitale Therapiesitzungen, es ist eine Chance, die man nicht verpassen darf. Es ist wichtig, die digitale Transformation des Gesundheitswesens und der Gesundheitsversorgung mitzugestalten – und auch dazu beizutragen, dass dies und immer im Hinblick auf eine verbesserte Patient*innenversorgung passiert. Der Faktor Mensch ist darin ganz wichtig, denn die zukünftige medizinische Versorgung ist nur dann integrativ, wenn neben allen digitalen Möglichkeiten auch der direkte Kontakt zu den behandelnden Health Professionals erhalten bleibt.
Die empathische menschliche therapeutische Behandlungsbeziehung ist gerade bei der integrativen Medizin wesentlich für den Behandlungserfolg. Deshalb haben wir unsere digitalen Videosprechstunden während des Schweizer Lockdowns 2020 wissenschaftlich begleitet und konnten feststellen, dass diese Beziehung auch in digitalen Sprechstunden erhalten bleiben kann. Dieses und weitere Ergebnisse dieser Studie haben wir in diesem Videoabstract zusammengefasst.