Komplementäre und
Integrative Medizin
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Moderne Medizin blickt auf die individuellen Ressourcen des Menschen
40 Jahre Karl und Veronica Carstens-Stiftung

Moderne Medizin blickt auf die individuellen Ressourcen des Menschen

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Integrative Medizin Depression

Im Rahmen unseres 40-jährigen Jubiläums stellen wir Ihnen ein aktuelles Förderprojekt vor: In einer Explorativen Pilotstudie geht der Sportwissenschaftler Julian Böhm einerseits der Frage nach, wie sich das Wandern in den Versorgungsalltag implementieren lässt, andererseits prüft er, welche Zielmessgrößen für Menschen mit der Hauptdiagnose Depression sich am besten eignen.

Welches war Ihr eindrücklichstes Erlebnis im Rahmen Ihres Förderprojektes?

Die eigene Erfahrung, dass Wandern die Psyche im positiven Sinne beeinflusst: Zu Beginn der Studiendurchführung traten bei mir selbst viele neue Probleme auf, bei der Untersuchung selbst, ein Todesfall im nahen Umfeld und die Unerfahrenheit mit solchen Situationen. Eine Lösung der studienbezogenen Probleme war aussichtslos, die notwendige Kreativität ging verloren und der eigene Gemütszustand war schlecht. Als der Studien-Wanderführer dann zwei Wochen krank war, musste ich die Wanderführung selbst übernehmen – zum ersten Mal in Alleinverantwortung für psychisch erkrankte Menschen in einer für mich relativ unbekannten Gegend. Im Vornhinein waren die Hürden also auch hier recht hoch, Unsicherheit und sorgenvolle Gedanken in Bezug auf das, was alles schief gehen könnte, machten sich breit. 

Dennoch kam es anders als befürchtet. Mit den teilnehmenden Patientinnen und Patienten haben sich sehr eindrückliche, ehrliche und tiefgreifende Gespräche entwickelt, der Austausch, der hohe gegenseitige Respekt und das Vertrauen innerhalb der Wandergruppe haben mich tief beeindruckt. Gemeinsam mit den Einflüssen durch die natürliche Umgebung der Wanderroute und die von selbst stattfindende (Fort-) Bewegung wurde der Kopf immer freier und die Gedanken an Probleme verschwanden. Nach der Wanderung war die Stimmung durchweg positiv, die vorherrschenden Probleme konnten durch die Wanderung mit einem gewissen Abstand betrachtet werden, was dazu führte, dass ich zurück im Büro angekommen, zwei DIN A4-Seiten mit Lösungsansätzen aufgeschrieben habe. 

Die Integrative Medizin ist im Aufwind und wird von der Bevölkerung stark nachgefragt. Ist das ein Erfolg, zu dem Sie mit Unterstützung der Carstens-Stiftung beigetragen haben?

In Bezug auf das von der Carstens-Stiftung unterstützte Wanderprojekt kann natürlich festgehalten werden, dass in den letzten Jahren ein gewisser Trend zu Aktivitäten wie Wandern oder Spazierengehen, die auch durch die Nähe zur Natur als Naturheilverfahren bezeichnet werden können, besteht. Durch die gegenwärtige Pandemie-Situation und die damit verbundenen Einschränkungen wurde sicherlich bei vielen Menschen weiteres Bewusstsein für die Möglichkeiten der heimatlichen Umgebung, deren Stellenwert sowie das gesundheitsförderliche Potential geschaffen. 
An diese Thematik knüpft das von der Carstens-Stiftung unterstützte Wanderprojekt letztlich nahtlos an und trifft damit den aktuellen Zeitgeist. Ich denke, dass das Projekt durch seine Präsenz am beteiligten Klinikum seinen Beitrag geleistet hat und in Zukunft durch die wissenschaftliche Aufarbeitung ebenfalls leisten wird.

Lassen Sie uns auf die nächsten 40 Jahre schauen: Welche Entwicklung sehen Sie im Bereich der Integrativen Medizin und was muss dafür getan werden? Was bedeutet für Sie eine Medizin der Zukunft? Wie können wir helfen und dazu beitragen?

Ich kann mir vorstellen, dass auf der einen Seite durch das vermehrte Bewusstsein und die ansteigende Nachfrage aus der Bevölkerung die Integrative Medizin einen größeren Stellenwert bekommen könnte. Dazu ist es sicherlich weiterhin notwendig, insbesondere Naturheilverfahren etc. auf ein stabiles wissenschaftliches Fundament zu stellen, da viele Menschen in diesem Bereich immer noch das Problem sehen bzw. die Meinung haben, dass die Wirkung verschiedener Verfahren immer noch nicht bewiesen sei. Neben der wissenschaftlichen Herangehensweise sollte dann nicht aus den Augen gelassen werden, die Erkenntnisse in verständlicher Art und Weise in der Bevölkerung öffentlichkeitswirksam zu verbreiten.

Auf die individuellen Ressourcen des Menschen blickt die moderne Medizin

Auf der anderen Seite werden die kommenden 40 Jahre die Medizinlandschaft durch die weitreichenden Entwicklungen mit künstlicher Intelligenz stark verändern und wahrscheinlich viel Gewohntes auf den Kopf stellen. Möglicherweise könnte dies auch für die Integrative Medizin Potential beinhalten, wenn sich beispielsweise die Menschen durch die fortschreitende Technisierung der Medizin wieder nach mehr sozialem Kontakt oder Austausch mit medizinischem Personal sehnen. Hier bieten integrative Ansätze meiner Meinung nach viele Möglichkeiten, da durch die komplementären Verfahren das Augenmerk auch auf den Menschen selbst und seine individuellen Ressourcen gelenkt wird.

Julian Böhm

ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Sportmedizin, Medizinische Klinik im Universitätsklinikum Tübingen. Auf Carstens-Stiftung.de lesen Sie zum Thema Wandern und Julian Böhm bitte auch das Interview »Forschungslandschaft Medizin? Mehr Verantwortung!«

Damit mehr Menschen ganz selbstverständlich in den Genuss seriöser integrativ-medizinischer Behandlungen kommen können, brauchen wir Ihre Unterstützung.

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Karl und Veronica Carstens-Stiftung
Redaktion Carstens-Stiftung

Neben freien Autor*Innen setzt sich die Redaktion der Karl und Veronica Carstens-Stiftung zusammen aus Michèl Gehrke, Quentin Germeroth, Vanessa Kämper, Isabell Nagel, Lea Metzger und Ingo Munz.