Der Patient stimmt mit den Füßen ab
Veröffentlicht am
Integrative Medizin Naturheilkunde
Dr. Michael Elies ist seit vielen Jahren Mitglied des Vorstandes und beratender Arzt von Natur und Medizin e.V. Er erzählt uns, wie es Frau Dr. Veronica Carstens schaffte, zeitlebens rank und schlank zu bleiben und warum dem gegenwärtigen Medizinsystem unabhängige Ratgeber Not tun.
Eine tragende Säule innerhalb der Naturheilkunde ist die Ernährung. Speziell das Essen in Gemeinschaft hat wunderbare Wirkungen, die über die reine Nahrungsaufnahme weit hinaus gehen. Es wirkt sinnstiftend. Denke ich an 40 Jahre Karl und Veronica Carstens-Stiftung, so verwundert nicht, dass mir spontan Erlebnisse von den gemeinsamen Mahlzeiten bei den Vorstandssitzungen im Hause Carstens einfallen. Zum Mittagessen wurde während der Sitzungen Vollwertkost mit einem hohen Rohkostanteil gereicht. Herr Professor Carstens war aber nun augenscheinlich kein ausgewiesener Freund dieser Ernährungsform, auch wenn es ihm eingedenk seiner Konstitution gut getan hätte. Mit einem Augenzwinkern verabschiedete er sich öfter unmittelbar vor dem Mittagessen aus der Runde, verwies auf allerhand staatstragende Geschäfte und sagte in der ihm eigenen, sehr sympathischen Selbstironie, er müsse dann leider mit dem Essen in Bonn vorliebnehmen.
Und noch etwas hat er ins Leben gerufen, das Frau Dr. Carstens hernach beibehalten hat: Zum Mittagessen wurde eine Flasche Wein aus seinem reichhaltigen Weinkeller geöffnet. Es galt die Regel, dass der Rest des Weins – immer schön verkorkt – dem Geschäftsführer als Dank für seine Mühen mit auf den Weg zurück nach Essen gegeben wurde.
Das Ehepaar Carstens war sehr gastfreundlich. Beide blieben zeitlebens rank und schlank. Wie machen Sie das", frug ich sie einmal, "gerade wenn Sie an so vielen Staatsbanketten teilnehmen müssen?"
"Da gibt es ein paar einfache Tricks", sagte sie: "Man hantiert ein wenig mit Messer und Gabel, schneidet mal das Fleisch oder schiebt das Gemüse auf dem Teller von links nach rechts, so dass es aussieht, wie wenn man essen würde. Und wenn man dann doch Mal etwas isst, sollten es immer nur kleine Bissen sein. Ist der Gang zu Ende, kann man sagen: Ach Gott, das war so ein anregendes Gespräch, jetzt konnte ich gar nicht alles aufessen."
Ich habe Frau Dr. Carstens dann genau beobachtet. Auch auf unseren Sitzungen wendete sie diese Techniken an. Will sagen: Wenn wir uns zum zweiten Mal das Essen auf den Teller nahmen, war sie mit dem ersten Gang noch nicht einmal zur Hälfte fertig. Ich habe mir das sehr gut gemerkt, denn irgendwann kommt ja die Zeit, wo man selber auf die Linie achten und sich zügeln muss.
Auch meine dritte Erinnerung wirft ein Schlaglicht auf die Persönlichkeit Frau Dr. Carstens, auch sie hat mit Ernährung zu tun. Unsere Mittagessen wiesen, wie gesagt, immer einen hohen Anteil an Rohkost auf, dabei wurden uns Köstlichkeiten aus aller Welt serviert. Einmal kamen wir im Verlaufe einer Vorstandssitzung zur Herbstzeit auf das Thema "saisonale und regionale Ernährung" zu sprechen. Zu Mittag aber gab es Obst und Gemüse, die eigentlich zu dieser Zeit nicht bei uns heimisch sind. Und so dozierte ich vor mich hin, wie gut es dem Körper täte, wenn man sich regional und saisonal ernährte. Frau Dr. Carstens hörte genau zu, sagte aber kein Wort. So weit so gut. Bei der nächsten Sitzung im Winter gab es Eintopf mit Kohl. Sie lächelte mich an und sagte: "Das ist doch jetzt in ihrem Sinne." War es auch, aber ob alle anderen Teilnehmer zufrieden damit waren?
Die Integrative Medizin ist im Aufwind und wird von der Bevölkerung stark nachgefragt. Ist das ein Erfolg, zu dem Sie mit Unterstützung der Carstens-Stiftung beigetragen haben?
Frau Dr. Carstens hat immer gesagt: Die Patienten stimmen mit den Füßen ab. Vermittelt hat diese Abstimmung, also dass die Patienten informiert entscheiden können, zu welchen Therapeuten sie gehen, das Doppelgespann Carstens-Stiftung und Natur und Medizin e.V. Es ist kein Zufall, dass mit Professor Dobos und mit Professor Michalsen zwei renommierte Naturheilkundler von der Carstens-Stiftung maßgeblich gefördert worden sind, die jetzt mit ihren Büchern an der Spitze der Bestsellerlisten stehen. Dieser Switch von der Wissenschaft, meinetwegen von der Blutegelstudie oder der Mind-Body-Medizin, hin zum Verständnis des einzelnen Bürgers, ist das zentrale Element der Carstens-Stiftung, die wiederum ohne den Verein Natur und Medizin nicht zu denken ist.
Ein außerordentlich wichtiges Zeichen gesetzt hat die Carstens-Stiftung, als sie die Stiftungsprofessur von Frau Professorin Claudia Witt an der Berliner Charité förderte. Es konnte gezeigt werden, dass die Naturheilkunde und auch die Homöopathie seriös beforschbar sind. Ich werde nie die Wortmeldung eines offenkundig hochschulmedizinischen Teilnehmers bei einem von der Carstens-Stiftung ausgerichteten Homöopathie-Seminar auf der Medica in Düsseldorf vergessen: "Sie sind aber mutig, auch negative Studienergebnisse hier vorzustellen, Gratulation dafür!".
In dem Zusammenhang ist auch das aktuelle Habilitationsförderprogramm wie die generelle Nachwucharbeit der Stiftung von zentraler Bedeutung. Bei aller Bescheidenheit: Ohne die Carstens-Stiftung hätten die Naturheilkunde und auch die Homöopathie nicht das Ansehen, das sie heute genießen.
Lassen Sie uns auf die nächsten 40 Jahre schauen: Welche Entwicklung sehen Sie im Bereich der Integrativen Medizin und was muss dafür getan werden? Was bedeutet für Sie eine Medizin der Zukunft?
Ich habe gerade das Buch »Heilen mit der Kraft der Natur« rezensiert. Darin formuliert Professor Michalsen acht Thesen für ein Medizinsystem der Zukunft:
- Ärzte sollen Krankheiten verhindern, statt nur ihre Folgen zu behandeln.
- Naturheilkunde muss stärker gefördert werden.
- Die Medizin kann mehr als Medikamente.
- Ohne gesunde Ernährung ist keine Gesundheit möglich.
- Gesunder Lebensstil muss zur Stilfrage werden.
- Medizin muss Menschen ermutigen.
- »Schulmedizin« und Naturheilkunde gehören zusammen.
- Gesundheitssystem nicht auf Effizienz, sondern auf Resilienz ausrichten.
Kurz gesagt: Für ein stabiles, ein nachhaltiges und auch ein ressourcenschonendes Medizinsystem bedarf es zwingend der Naturheilkunde. Das Stichwort Prävention ist ein Bereich, in dem die Naturheilkunde originär zuhause ist. Diese Gesundheitsvorsorge fristet aber derzeit ein Schattendasein. Eine Medizin der Zukunft holt diesen Bereich zurück in den Fokus.
Wie können wir helfen und dazu beitragen?
Das Stiftungswesen und auch Bürgerbewegungen wie Natur und Medizin müssen in ihrer Vorausschau berücksichtigen, dass die Bewahrungskräfte gerade im medizinischen Sektor enorm sind. In Kliniken, in der pharmazeutischen Industrie und auch bei anderen Anbietern von Gesundheitsleistungen treffen wir auf höchst etablierte Strukturen. Das macht den Wandel besonders schwer. Aber gerade deshalb ist es wichtig, bislang erzielte Etappenerfolge abzusichern, zu stabilisieren und weiter auszubauen.
Der große Vorteil von gemeinnützigen Institutionen ist deren Unabhängigkeit. Die politischen Akteure, die ja die Weichen stellen, sind (und machen sich) abhängig von Beratung. Addierten wir die Summen, die im Gesundheitssektor ausgegeben werden für Beratung oder auch Lobbyismus, und würden diese Geldsumme verwenden für die Erforschung und Erstattung von Naturheilkunde und Homöopathie, dann wäre vielen Menschen körperlich, geistig und seelisch sehr geholfen. Unparteiische Ratgeber wie die Carstens-Stiftung tun in diesem System außerordentlich Not …