Komplementäre und Integrative Medizin (KIM) bei Demenz
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Integrative Medizin Demenz Komplementärmedizin
Weltweit sind etwa 50 Millionen Menschen an Demenz erkrankt, Tendenz steigend. Die Behandlungsmöglichkeiten der konventionellen Medizin sind stark eingeschränkt. Es besteht daher großer Bedarf, Risikofaktoren zu minimieren, Präventionsmaßnahmen zu ergreifen und Therapiestrategien zu optimieren. Die KIM bietet eine Reihe von Interventionen, die dabei helfen können, Demenzerkrankungen oder deren Vorformen zu verhindern, beziehungsweise zu behandeln. Im Folgenden wird der Stand der Forschung zu den gängigsten Behandlungsformen vorgestellt.
Ernährung und Lebensstil
Ernährung, Bewegung, Schlaf und Stress spielen alle eine Rolle in der Pathophysiologie des Gedächtnisverlustes. In Studien wurden Prävention und Behandlung des altersbedingten kognitiven Verfalls, der leichten kognitiven Beeinträchtigung und der vollent-wickelten Demenz untersucht. Lebensstilinterventionen können den Ergebnissen zu Folge einen deutlichen Einfluss auf die psychische Gesundheit haben. Häufig über-schneiden sich die Empfehlungen für Prävention und Behandlung.
Ernährung als Risikofaktor für Demenz
Ein vermeidbarer Risikofaktor für Demenz ist möglicherweise ein Mangel an Nährstoffen, insbesondere an B-Vitaminen. Der Homocysteinspiegel im Körper ist bei einem Mangel an Folsäure, Vitamin B1 (Thiamin) und Vitamin B12 (Cyanocobalamin) erhöht. Ein erhöhter Homocysteinspiegel gilt als Risikofaktor für die Entwicklung von Demenz und Herzkrankheiten. Die Datenlage zur Supplementation von B-Vitaminen zur Prävention kognitiver Beeinträchtigung ist jedoch nicht eindeutig. [01] [02] Eisenmangel kann zu Anämie führen, die wiederum das Absterben von Gehirnzellen und schließlich Demenz zur Folge haben kann. Eine aktuelle Meta-Analyse [03] fand ein deutlich erhöhtes Risiko für Patient*innen mit bestehender Eisenmangel-Anämie. Nährstoffmängel können darauf zurückzuführen sein, dass es für viele ältere Patienten schwierig ist, hochwertiges frisches Obst, Gemüse, Vollkornprodukte und hochwertige Eiweiße in ausreichender Menge zu konsumieren.
Die International Conference on Nutrition and the Brain (Internationale Konferenz über Ernährung und Gehirn) hat Empfehlungen für die Ernährung und den Lebensstil zur Vorbeugung der Alzheimer-Krankheit ausgearbeitet. [04] Sie empfiehlt, die Aufnahme von gesättigten Fetten und Transfetten zu reduzieren, den Verzehr von Gemüse, Hülsenfrüchten, Obst und Vollkornprodukten zu erhöhen, Vitamin E aus Lebensmitteln statt aus Nahrungsergänzungsmitteln zuzuführen (15 mg/Tag), eine zuverlässige B12-Quelle zu nutzen (2,4 mg/Tag), Multivitamine ohne Eisen und Kupfer zu wählen, es sei denn, es liegt eine Anämie vor. Des Weiteren sei die Aluminiumexposition zu minimieren.
Optimierungsstrategien bei Demenz
PD Dr. Christian Keßler Ernährung und kognitives Training zur Vorbeugung
Bewegung und immer wieder Bewegung
Daten aus gut konzipierten Meta-Analysen belegen durchweg, dass körperliche Aktivität und Bewegung, insbesondere aerobes Training wie Gehen, Joggen und Radfahren, die kognitive Leistung bei älteren Erwachsenen und Personen mit Demenz verbessern. [05] [06] Körperliche Aktivitäten, die ein Gedächtnis für Muskelbewegungen erfordern, wie Tai Chi und Tanz, verbessern ebenfalls nachweislich die kognitiven Ergebnisse. [07] Bewegung kann sich auf Demenz auswirken, indem sie den Hippocampus vergrößert. Eine mögliche studiengestützte Bewegungsempfehlung zur Prävention kognitiver Beeinträchtigung lautet: Dreimal wöchentlich vierzig Minuten aerobes Training. Die Intensität sollte zügigem Gehen entsprechen.
Zusammenhang von Schlafstörungen mit kognitiven Beeinträchtigungen
Etwa 25% der Erwachsenen sind mit ihrem Schlaf unzufrieden, 10-15% leiden unter Schlaflosigkeitssymptomen mit negativen Auswirkungen auf den Tag, und 6-10% erfüllen die Diagnosekriterien für Schlaflosigkeit. Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Schlafstörungen und kognitiven Beeinträchtigungen oder der Alzheimer-Krankheit. Für die meisten Menschen wird eine Schlafdauer von etwa 7-8 Stunden empfohlen. Die diagnostische Abklärung und Behandlung zugrundeliegender (organischer) Schlafstörungen, wie z. B. der obstruktiven Schlafapnoe, ist ebenfalls von Bedeutung. [08]
Stress und Kognitionsbeeinträchtigungen
Psychischer Stress und die physiologischen Reaktionen auf Stress wirken sich auf die Funktionsfähigkeit des Gehirns aus. Chronischer psychischer Stress trägt entweder direkt oder über neurologische Stressvermittler zum kognitiven Verfall, zur Schädigung des Hippocampus und zu neurodegenerativen Erkrankungen bei. [09] Jede Intervention, die eine Verringerung von Stress oder Stressreaktivität unterstützt, kann zur Prävention einer Kognitionsbeeinträchtigung beitragen. Die Mind-Body-Medizin (Achtsamkeitstraining, Yoga u.ä.) ist eine effektive Therapieoption für die Stressreduktion, da sie nachweislich Stressmarker reduziert.
Mind-Body-Medizin: Meditation kann altersbedingten kognitiven Abbau ausgleichen
Meditation ist eine der gängigsten Therapien der Mind-Body-Medizin. Es liegt mäßige Evidenz für die Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten bei nicht beeinträchtigten und bei älteren Erwachsenen vor. [12] Der Wirkmechanismus der Meditation wurde über verschiedene Wege untersucht. Beispielsweise wurden bei Meditierenden Veränderungen der Gehirnstruktur in Bereichen beobachtet, die mit Selbstregulation, fokussiertem Problemlösen, adaptiven Verhaltensreaktionen unter wechselnden Bedingungen, visuell-räumlicher Vorstellungskraft, Abrufen des episodischen Gedächtnisses und selbstverarbeitenden Operationen in Zusammenhang stehen.
Eine systematische Überprüfung von 12 Studien ergab, dass Meditation für ältere Erwachsene durchführbar ist und den altersbedingten kognitiven Abbau ausgleichen kann. [13] Möglicherweise spielen auch indirekte Mechanismen eine Rolle, da Meditation auf weitere vermittelnde Faktoren abzielen kann, die sich auf die Kognition auswirken, wie z.B. die Schlafqualität. Eine systematische Übersichtsarbeit fand positive Belege für den Nutzen von Achtsamkeitstherapien für den Schlaf, insbesondere bei älteren Menschen. Die Forschung über die Auswirkungen von Meditation bei Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung oder Demenz ist begrenzt, aber eine kleine Studie zeigte, dass sich Meditation bei Erwachsenen mit Beeinträchtigung auf die Hirnregionen auswirkte, die am stärksten mit Demenz in Verbindung stehen. [14] Tai Chi, eine Form der bewegten Meditation, verbessert ebenfalls die kognitiven Funktionen bei älteren Erwachsenen.
Kognitive Trainings wirken lange nach
Für die Wirksamkeit kognitiver Trainings gibt es Belege aus gut konzipierten Meta-Analysen, die durchweg verbesserte kognitive Leistungen bei Menschen mit Demenz zeigen. [15][16] Dazu gehören ein verbessertes Gedächtnis und bessere kognitive Fähigkeiten, weniger Fehler beim verbalen und visuellen Lernen, verbesserte exekutive Funktionen, Sprache und Aufmerksamkeit, verbesserte Aktivitäten des täglichen Lebens und weniger Depressionen. Bemerkenswerterweise scheinen die Auswirkungen des kognitiven Trainings bis zu fünf Jahre nach der Therapie anzuhalten.
Zur Einschätzung der Wirksamkeit vieler Nahrungsergänzungsmittel und Phytotherapeutika fehlen Studien
Für Ginkgo biloba und Bacopa monnieri (Kleines Fettblatt, im Handel häufig indisch „Brahmi“) gibt es zuverlässige Belege für einen Nutzen bei Demenz. In einer Meta-Analyse wurde festgestellt, dass 240 mg/Tag Ginkgo biloba-Extrakt bei der Behandlung von Demenz wirksam und sicher sind. [17] Auch für Bacopa monnieri gibt es Hinweise aus einer Meta-Analyse, die eine Verbesserung der kognitiven Fähigkeiten, insbesondere der Aufmerksamkeit, nahelegen. [18] Für die Therapie mit Omega-3-Fettsäuren liegen teils positive, aber insgesamt widersprüchliche Ergebnisse zu Dosierung und Nutzen vor, so dass eine gründlichere Untersuchung angezeigt ist. [19] Andere natürliche Produkte wie Phosphatidylserin, Huperzin-A, Coenzym Q10 [20] und Caprylsäure werden manchmal von Betroffenen verwendet, bedürfen aber noch weiterer Studien, um ihre Wirksamkeit bei Demenz einschätzen zu können. [21]
Andere Verfahren wie Musiktherapie oder Reiki
Für Therapien wie Reiki, Therapeutic Touch und Healing Touch gibt es mäßig zuverlässige Hinweise auf eine Verringerung der Unruhe und des Speichelcortisols (Stressmarker) sowie eine Verbesserung der kognitiven Funktionen und der Stimmung bei Erwachsenen mit Demenz. Therapeutic Touch beispielsweise verringerte in einer Studie mit Alzheimer-Patienten körperliche, nicht-aggressive Verhaltensweisen. [22]
Randomisierte, kontrollierte Studien belegen durchweg den Nutzen von Musiktherapie bei Demenz, unabhängig davon, ob diese in einzeln oder in Gruppen durchgeführt wird. Musiktherapie zielt auf die Verbesserung der Lebensqualität und basiert darauf, dass Musik mittelbare Auswirkungen auf nicht-musikalische Gehirn- und Verhaltensfunktionen ausübt. [23]