One Health und der Beitrag der Integrativen Medizin
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Planetary Health Integrative Medizin
Die Begriffe „One Health“ oder „Planetary Health“ gewinnen zunehmend an Relevanz. Sie verweisen darauf, dass die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt untrennbar miteinander verwoben sind. Inwiefern eignen sich gerade die Konzepte der Integrativen Medizin dazu, diese als gemeinsam aufgefasste Gesundheit zu stärken?
Eine aktuelle Übersichtsarbeit (1) liefert Ansatzpunkte, indem sie den fachlichen Austausch eines viertägigen internationalen Experten-Workshops zur Integrativen Medizin und One Health zusammenfasst.
Unser Planet ist krank
Es steht außer Zweifel, dass die Menschheit die Ressourcen der Erde über Maß ausgebeutet hat. Die Klimakrise mit all ihren zugehörigen Phänomenen – darunter Treibhauseffekte, globale Erwärmung, Dürren, Überschwemmungen und Fluten – führen uns vor Augen, dass unser Handeln – etwa die Abholzung von Wäldern, die exzessive Viehzucht, die Nutzung fossiler Brennstoffe – die ökologische Balance aus dem Gleichgewicht gebracht hat. Unser zerstörerisches Handeln hat den Planeten krank gemacht.
Eine bittere Einsicht: Da dieser Planet unsere Lebensgrundlage ist, ist es letzten Endes ein selbstzerstörerisches Handeln, das auch uns krank macht. Wir atmen die verschmutzte Luft ein, entwickeln Antibiotikaresistenzen und chronische sogenannte Zivilisationskrankheiten wie Bluthochdruck, Herz- und Gefäßkrankheiten, Diabetes oder Allergien. Die Gesundheit von Menschen, Tieren und des Ökosystems stehen demnach in Wechselbeziehung miteinander. (2,3)
Mithelfen
„Der Arzt und die Ärztin der Zukunft sollen zwei Sprachen sprechen, die der Schulmedizin und die der Naturheilkunde und Homöopathie. Im Einzelfall sollen sie entscheiden können, welche Methode die beste für den Patienten ist.“
Selbstregulation
In der Biologie wird ein Organismus aufgefasst als ein autonomes System, das sich durch voneinander abhängigen Interaktionen selbst reguliert. (4,5) Zur Veranschaulichung sei beispielhaft die gegenseitige Beeinflussung von Nerven, Zellen, Geweben und Organen genannt. Netzwerkbeziehungen dieser Art existieren jedoch nicht nur innerhalb des Organismus, sondern auch zwischen dem Organismus und seiner Umwelt. Kommt es zu Störungen dieser Netzwerke, können diese entweder bis zu einem gewissen Grad kompensiert werden oder führen, vor allem auf Dauer, zu pathologischen Veränderungen. Aus dieser Perspektive erscheinen Krankheiten als Störungen der Selbstregulation eines Menschen und die Klimakrise als Störung der Selbstregulation unseres Planeten – wobei beides miteinander in Wechselbeziehung steht. (6)
Für die Medizin wirft dies die Frage auf, ob es im Falle von Störungen/Krankheiten nicht sinnvoll wäre, in erster Linie die selbstregulativen Prozesse zu stärken, bevor defektorientiert isolierte Auslöser adressiert werden. Eine solche Medizin würde in der Förderung der individuellen Gesundheit inhärent auch die planetare Gesundheit fördern.
Integrative Medizin
Die Integrative Medizin definiert sich durch einen ganzheitlichen Blick auf den Menschen, indem sie die biopsychosoziale und spirituelle Dimension von Gesundheit ebenso berücksichtigt, wie die Umwelt. (7,8) Entsprechend zeichnet sie sich durch Interdisziplinarität und Methodenpluralismus aus, kombiniert Erkenntnisse und Werkzeuge aus Naturwissenschaft, Biowissenschaft, Sozialwissenschaft, Geisteswissenschaft und Psychologie. Der Schwerpunkt der Integrativen Medizin liegt auf der Prävention und Salutogenese, d.h. der Erhaltung und Entwicklung der Gesundheit, durch Aktivierung der eigenen Ressourcen. In anderen Worten: Die Aufrechterhaltung des Systems (Homöostase) steht im Vordergrund und als wichtigstes Mittel hierzu dient die Selbstregulierung.
Es ist bekannt, dass vor allem die in den Industrienationen häufig auftretenden chronischen Erkrankungen in hohem Maße von Lebensstilfaktoren beeinflusst werden. Als ein zentrales Mittel der Selbstregulierung fungiert in der Integrativen Medizin daher die Anpassung des Lebensstils: Entspannung und Stressreduktion, regelmäßige Bewegung, eine pflanzenbetonte Ernährungsweise fördern die Gesundheit und können obendrein dazu beitragen, Medikamente und damit unerwünschte Nebenwirkungen einzusparen.
Allein am Beispiel des Fleischverzichtes in der Ernährung und der Medikamentenreduktion wird anschaulich, wie dieser Ansatz auch einen Beitrag zur planetaren Gesundheit leistet. So beansprucht die Agrarindustrie 50% der bewohnbaren Flächen und 70% des gesamten Süßwasserverbrauchs dieser Erde. (9,10,11) Hinzu kommt eine massive Überdüngung der Ozeane und große Bedrohung der Artenvielfalt. (12,13) Auf die Herstellung tierischer Lebensmittel entfallen 72-78% der ernährungsbedingten und 14,5% aller menschlich erzeugten Treibhausgasemissionen. Die Emissionen der Herstellung tierischer Lebensmittel übersteigen somit die des gesamten Auto-, Schiffs- und Flugverkehrs weltweit. (14)
Medikamente können nicht nur Nebenwirkungen verursachen – ihre Herstellung belastet die Umwelt, ihre Vermarktung, ihre Verpackung, ihr Transport, ihre Entsorgung. Anstelle einer profit-orientierten Medikamentenzulassung (15-17) wäre es wünschenswert, Emissions-Obergrenzen für Therapien einzuführen. (18) Je weniger Medikamente benötigt werden, desto leichter würde es fallen, diese Grenzen einzuhalten.
Fazit
Der Mensch ist für die Zerstörung seiner eigenen Lebensgrundlage selbst verantwortlich – auf Grund seiner systemimmanenten Fähigkeit zur Reflexion und zur Kultur ist er aber auch dazu in der Lage, sein eigenes Handeln und dessen Auswirkungen auf globaler Ebene zu betrachten. Dadurch kann er selbst tätig werden, um das gestörte Verhältnis zwischen ihm und seinem Lebensraum wiederherzustellen. Die Ansätze der Integrativen Medizin erscheinen hierzu in hohem Maße geeignet, denn Selbstregulierung der individuellen und der planetaren Gesundheit gehen Hand in Hand.
Literatur zu "One Health und der Beitrag der Integrativen Medizin"
1) Matthes H, Baars EW, Brinkhaus B, Christoph M, Edelhäuser F, Grah C, Gründemann C, Keßler C, Martin D, Michalsen A, Rosslenbroich B, Siroka J, Soldner G, Teut M, Vagedes J, Willich SN. The Earth as a Living Organism: Contribution of Integrative Medicine to the Healing of Our Planet (One Health). Complement Med Res. 2024;31(5):477-483. doi: 10.1159/000540226. Epub 2024 Jul 26. PMID: 39068929; PMCID: PMC11466444. Link
2) Villanueva-Cabezas J. One health: a brief appraisal of the Tripartite–UNEP definition. Transboundary and Emerging Diseases. 2022. Link
3) Sharma A, Patel R. Environmental degradation and its societal consequences: a comprehensive study on the relationship with depression. Adv Urban Resilience Sustain City Des. 2023;15(8):14–30. Link
4) Noble D. The music of life: biology beyond genes. Oxford University Press; 2008. Link
5) Rosslenbroich B, Properties of life towards a theory of organismic biology. Cambridge MA: MIT Press; 2022. Link
6) Toombs SK. Illness and the paradigm of lived body. Theor Med. 1988;9(2):201–26. Link
7) Brinkhaus B, Esch T. [Integrative Medicine and Health: Construct of a Modern Medicine] Integrative Medizin und Gesundheit – Konstrukt einer modernen Medizin. In: Brinkhaus B, Esch T, editors. Integrative Medizin und Gesundheit, Vol. 1. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2020. p. 3–15. Link
8) Antonovsky A. The structural sources of salutogenic strengths. In: Cooper CL, Payne R, editors. Individual differences: personallity and stress. New York: Wiley; 1994. p. 67–104. Link
9) F.a.A.O.o.t.U.N., FAO, SOFI 2021. Transforming food systems for food security, improved nutrition and affordable healthy diets for all. Link
10) Ellis, E.C., Klein Goldewijk, K., Siebert, S., Lightman, D. and Ramankutty, N. (2010), Anthropogenic transformation of the biomes, 1700 to 2000. Global Ecology and Biogeography, 19: 589-606. Link
11) F.a.A.O.o.t.U.N., FAO, The State of the World's Land and Water Resources for Food and Agriculture (SOLAW) | managing systems at risk. Link
12) Poore J, Nemecek T. Reducing food's environmental impacts through producers and consumers. Science. 2018 Jun 1;360(6392):987-992. doi: 10.1126/science.aaq0216. Erratum in: Science. 2019 Feb 22;363(6429): PMID: 29853680. Link
13) Bar-On YM, Phillips R, Milo R. The biomass distribution on Earth. Proc Natl Acad Sci U S A. 2018 Jun 19;115(25):6506-6511. doi: 10.1073/pnas.1711842115. Epub 2018 May 21. PMID: 29784790; PMCID: PMC6016768. Link
14) Crippa, M., Solazzo, E., Guizzardi, D. et al. Food systems are responsible for a third of global anthropogenic GHG emissions. Nat Food 2, 198–209 (2021). doi.org/10.1038/s43016-021-00225-9. Link
15) Angell M. Industry-sponsored clinical research: a broken system. JAMA. 2008;300(9):1069–71. Link
16) Angell M, Reading K. The truth about the drug companies: how they deceive us and what to do about it. New York: Random House Trade Paperbacks; 2005. Link
17) Götsche PC. [Deadly medicine and organized crime. How the pharmaceutical industry is corrupting the healthcare system]. Tödliche Medizin und organisierte Kriminalität. Wie die Pharmaindustrie das Gesundheitswesen korrumpiert. München. 2015;2:2020. Link
18) Milanesi M, Runfola A, Guercini S. Pharmaceutical industry riding the wave of sustainability: review and opportunities for future research. J Clean Prod. 2020;261:121204. Link