Wir haben uns dann die Ergebnisse auch in qualitativer Hinsicht angeschaut. Wir haben eine Untergruppe der Patient*innen interviewt, in ausführlichen Interviews von 45 min. bis zu einer Stunde. Dort zeigten sich einerseits bekannte Ergebnisse, wie wir sie auch von anderen Mind-Body-Interventionen kennen, z.B. mehr Gelassenheit, mehr Ruhe, mehr Entspannung, mehr Ausgeglichenheit. Aber das wirklich Neue, was auch herausstach, war die Beschäftigung mit der Lebensethik des Yoga: "Ich sehe mein Leben in einem neuen Licht. Im Angesicht dieser lebensethischen Prinzipien schaue ich, wie ich mein Leben gelebt habe und erinnere mich: Eigentlich steckt das doch in mir. Friedfertigkeit oder Wahrhaftigkeit, das sind ja keine neuen Themen für mich als Mensch, sondern ich kann sie in mir wieder reaktivieren und mich daran erinnern, wie gut es tut, wenn ich diese Prinzipien lebe." Die Neubewertung alter Verhaltensmuster im Lichte der lebensethischen Prinzipien und die Chance, jetzt etwas anders zu machen, z.T. auch neue Werte zu entdecken im eigenen Leben, das war wirklich ein ganz großer Punkt in der qualitativen Untersuchung und sehr schön zu sehen.
Natürlich haben wir auch biologische Daten erhoben, unter anderem haben wir die Herzfrequenzvariabilität gemessen, und haben auch hier positive Effekte im Vergleich MBLM gegen das Standard-Treatment gesehen.
In einer weiteren Studie haben wir Patient*innen mit chronischer Schmerzstörung untersucht und auch hier gesehen, dass sich durch die Teilnahme am MBLM-Programm die durchschnittliche Schmerzstärke reduzierte. Vor allem aber hat sich auch die schmerzspezifische Selbstwirksamkeit – "Wie kann ich, wenn ich Schmerzen habe, mit mir selbst umgehen, dass es mir besser geht?" – deutlich erhöht durch das MBLM-Programm. Das ist ein sehr schönes Ergebnis, denn chronische Schmerzen sind in der Regel nicht so leicht zu beeinflussen.
Zu guter Letzt war es uns wichtig, das Programm bei Gesunden zu testen. Wir haben eine Studie mit gesunden Proband*innen ausgewertet, die ein etwas komplexeres Studiendesign hatte. Hier haben wir nämlich die verschiedenen Domänen von MBLM – Mantra-Meditation, Gesunder Lebensstil, Lebensethik – einzeln und in unterschiedlichen Konfigurationen getestet. Es gab z.B. eine Gruppe, die hat nur an Mantra-Meditation und der Lebensethik teilgenommen, eine andere Gruppe hat an Meditation und körperorientiertem Yoga teilgenommen, eine Gruppe hat nur meditiert usw. Wir konnten zum Einen zeigen, dass das MBLM-Programm auch bei Gesunden gut funktioniert und gut angenommen wird, zum Anderen, dass die Komponenten einen additiven, inkrementellen Effekt haben. Wer z.B. nur meditiert, profitiert davon, sich zusätzlich noch mit der Lebensethik zu beschäftigen – das Wohlbefinden steigt; und Menschen, die zusätzlich noch Yoga machen, profitieren von einer zusätzlichen Stressreduktion im Vergleich zur reinen Meditation.
Was ist als nächstes geplant?
In Zukunft möchten wir uns noch weiter beschäftigen mit persönlichkeitsassoziierten Variablen. Wir wollen gerne herausfinden, welche Menschen mit welcher Persönlichkeit besonders gut geeignet sind für z.B. den meditativen Anteil, den körperlichen Anteil oder den lebensphilosophischen Anteil, und wir wollen auch schauen, ob ein solches Programm vielleicht ein Türöffner sein kann für die eigene Spiritualität. Es gibt ja viele Menschen, die keinen expliziten Zugang zur Spiritualität haben. Aus der Forschung wissen wir aber, dass spirituelle oder religiöse Menschen überwiegend eine bessere psychische und körperliche Gesundheit haben, da z.B. das Gesundheitsverhalten positiv korreliert ist mit Religiosität und Spiritualität. Es wäre natürlich schön zu sehen, wenn man mit einem Programm wie MBLM, das sensibel und nicht sektiererisch oder dogmatisch mit diesen Themen umgeht, eine Tür für die eigene Spiritualität öffnen könnte.
Außerdem wollen wir das Programm für andere Zielgruppen evaluieren. MBLM ist modularisiert und adaptierbar: man kann es kürzen, man kann es verlängern, man kann Schwerpunkte in verschiedene Bereiche legen. Wenn wir jetzt z.B. an bestimmte Patient*innen-Gruppen denken, die vielleicht körperlich oder mental nicht so leistungsfähig sind, einfach weniger Kraft haben oder eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne, kann man das Ganze komprimieren, anders gewichten. Für eine Studie mit Brustkrebs-Patientinnen erstellen wir beispielsweise gerade ein Hybrid-Programm, dass die Patientinnen nicht so lange in einer Gruppentherapie-Sitzung sein müssen, sondern wir per Video Lerninhalte bereitstellen. Auf diese Weise kann eine Vor- und Nachbereitung der Kursinhalte ermöglicht werden. Hier ist also noch sehr viel Spielraum.
Generell ist es aus meiner Sicht für die Mind-Body-Medizin der nächste Schritt, dass wir in der Evolution der Interventionen eher wieder davon wegkommen sollten, einzelne Techniken aus den Weisheitstraditionen zu extrahieren – also eine bestimmte Achtsamkeitstechnik anwenden oder nur Mantra-Meditation usw. Wir können Interventionen verbessern, wenn wir integraler, ganzheitlicher schauen, wie die Menschen es damals gemeint und gelebt haben. Dann werden wir möglicherweise – MBLM deutet schon darauf hin – auch noch viele weitere gesundheitsfördernde Faktoren finden, insbesondere wenn man auch die eudaimonische und spirituelle Gesundheit einbezieht.
Welchen Tipp können Sie jemandem, der an einer psychischen Erkrankung leidet, mitgeben?
Grundsätzlich gibt es da natürlich vor allem individuelle Empfehlungen, aber wenn wir im Kontext der Meditationsbasierten Lebensstilmodifikation oder der Mind-Body-Medizin bleiben, dann möchte ich sagen, dass es sich sehr lohnt, einfach mal in diese Richtung zu schauen und Angebote auszuprobieren. Wir haben am Anfang – Kritik wäre zu viel gesagt – aber vielleicht eine Vorsicht bei Kolleg*innen gesehen, dass das MBLM-Programm für die Patient*innen zu herausfordernd sein könnte, zu intensiv, zu komplex. Wir haben eher das Gegenteil erlebt. Die Botschaft ist: In Ihnen steckt viel mehr, als Sie denken! Viel mehr Potenzial, viel mehr Kraft, viel mehr inneres Wissen. Und das zu spüren, stellt die eigene Erkrankung in ein ganz anderes Licht. Wir haben z.B. in der Beschäftigung mit der Lebensethik gesehen: da können ganze Welten aufgehen, da steigen Ressourcen von innen wieder auf! Und dann ist auch die Motivation da, körperliche oder mentale Übungen zu machen und man kann besser in der Übungs-Disziplin bleiben, die für den Erfolg notwendig ist. Wenn jemand Interesse oder eine Offenheit für Yoga, Meditation usw. hat, lohnt sich einfach, es auszuprobieren und dabei zu bleiben, weil ganz viel Potenzial geweckt werden kann.