Lichttherapie: Ein sonniges Gemüt, auch im Winter?
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Integrative Medizin Depression
Depressionen gehören zu den häufigsten und hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Lebensqualität am meisten unterschätzten Erkrankungen. Eine Depression lässt sich meist nicht auf eine einzige Ursache oder einen einzigen Auslöser zurückführen. Vielmehr entwickelt sie sich aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren.
Laut einer Studie aus 2016 sind insgesamt sind 8,2 % der erwachsenen Deutschen im Laufe eines Jahres an einer depressiven Störung erkrankt, und jede vierte Frau sowie jeder achte Mann ist im Laufe des Lebens betroffen. [01] Seit Beginn der Corona-Krise hat die Prävalenz depressiver Erkrankungen noch einmal deutlich zugenommen, vor allem unter Kindern und Jugendlichen. [02] Ein Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren, weniger einzelne Auslöser, sind meist Ursache von Depressionen, wobei in der Forschung psychosoziale und neurobiologische Aspekte diskutiert werden. [03] [04]
Johanniskraut ist gut erforscht
Die am häufigsten eingesetzten konventionellen Therapien bei Depression sind die Pharmakotherapie mit Antidepressiva sowie verschiedene Formen der Psychotherapie. Aus dem komplementärmedizinischen Spektrum hat vor allem die Phytotherapie mit Johanniskraut (Hypericum perforatum) einige Verbreitung erfahren: Zahlreiche Studien belegen, dass Extrakte dieser Pflanze bei Patient*innen mit Depressionen, auch schweren, einem Placebo überlegen sind, dass sie ähnlich wirksam sind wie synthetische Antidepressiva, aber weniger Nebenwirkungen haben. [05] [06]
Wirkmechanismus des Lichtes ist nicht vollständig geklärt
Weniger bekannt ist die physikalische Therapie von Depressionen mittels Licht, obwohl sie seit mittlerweile über 30 Jahren eingesetzt wird. [07] Hierbei werden die Patient*innen mithilfe einer sogenannten Lichtbox, bevorzugt in den frühen Morgenstunden, für 30 bis 120 Minuten mit hellem Licht bestrahlt. Die Therapie erfolgt in der Regel mindestens für mehrere Wochen. Der Wirkmechanismus des Lichtes ist hierbei nicht vollständig geklärt. Im Hinblick auf die saisonale Depression (Winterdepression) wurde die Hypothese aufgestellt, dass Lichttherapie entweder durch die Beeinflussung des zirkadianen Rhythmus oder durch die Erhöhung des synaptischen Serotonins im Mittelhirn wirken könnte. [08] Denkbar ist auch ein Zusammenhang, der durch die Bildung von Vitamin D vermittelt wird. Denn auch die Verabreichung von Vitamin D, welches bei Lichteinwirkung im Körper gebildet wird, wirkt sich positiv auf Depressionen aus. [09]
Studienlage zur saisonalen Depression
Zur Behandlung der Winterdepression liegt eine Meta-Analyse [10] aus 2020 vor: In die Auswertung eingeschlossen wurden randomisierte, verblindete klinische Studien, in denen Lichttherapie mit starkem Licht (≥1.000 Lux) gegen schwaches Licht (≤400 Lux) oder Schein-Generatoren als Placebo untersucht wurden. Der primäre Endpunkt war der anhand validierter Skalen gemessene Depressionswert nach der Behandlung.
Insgesamt 19 Studien erfüllten diese Einschlusskriterien. Lichttherapie war einer Placebobehandlung im Hinblick auf die Depressionsskalen mit einer mittleren Standardabweichung von -0,37 (= kleiner bis mittelgroßer Effekt) signifikant überlegen. Das Verzerrungsrisiko der Studien wurde als mäßig bis hoch bewertet. Die Autor*innen schlussfolgerten, dass die Evidenzlage dafür spräche, dass Lichttherapie eine wirksame Behandlungsform für saisonale Depressionen sei. Wegen der methodischen Heterogenität und der eher geringen Stichprobengrößen forderten sie für eine definitive Beurteilung allerdings größere, qualitativ hochwertige klinische Studien.
Studienlage zur nicht-saisonalen Depression
Interessanterweise kann sich die Behandlung mit Licht aber nicht nur auf depressive Zustände günstig auswirken, die in der dunklen Jahreszeit auftreten. Für die nicht-saisonale Depression liegt ebenfalls eine Meta-Analyse [11] aus 2020 vor: Zur Auswertung kamen 23 randomisierte, kontrollierte Studien mit insgesamt 1120 Teilnehmer*innen. Diese zeigten, dass Lichttherapie signifikant wirksamer war als die jeweiligen Kontrollinterventionen.
Auch bei der nicht-saisonalen Depression wurden über alle Studien hinweg kleine bis mittelgroße Behandlungseffekte beobachtet. Gemessen wurde wiederum die Schwere der Depressionssymptomatik anhand gängiger Skalen. Die Forscher resümierten, dass die Evidenzlage dafür spräche, dass Lichttherapie als wirksame Therapie bei nicht-saisonaler Depression eingesetzt werden könne. Die Qualität der Evidenz sei jedoch gering, so dass weitere gut konzipierte Studien mit größerem Stichprobenumfang und hoher Qualität erforderlich seien, um die Beobachtungen zu validieren.
Lichttherapie im Vergleich zu Antidepressiva
Obwohl Lichttherapie bei der Behandlung von saisonalen und nicht-saisonalen Depressionen vermutlich wirksam ist, wird sie in der klinischen Praxis nur selten eingesetzt, und Antidepressiva gelten nach wie vor als Standardbehandlung. Dies ist erstaunlich, da es erstens aufgrund der Datenlage strittig ist, ob Antidepressiva überhaupt in der Lage sind, klinisch relevante Verbesserungen bei depressiven Patient*innen zu bewirken.
Eine Übersichtsarbeit [12] aus 2021 etwa kommt zu dem Resultat, dass dies nicht der Fall sei, während andere Forscher die Studienlage positiver beurteilen. [13] Zweitens steht aber fest, dass Antidepressiva Nebenwirkungen haben können, die von Mundtrockenheit, über gastrointestinale Störungen, sexuelle Dysfunktion und Gewichtszunahme, bis hin zu Krampfanfällen, Lebertoxizität, Blutungen und erhöhter Suizidalität reichen. [14]
Eine Meta-Analyse [15] aus 2019 wertete vor diesem Hintergrund die randomisierten, kontrollierten Studien aus, in denen Lichttherapie und Antidepressiva sowie deren Kombination direkt miteinander verglichen wurden. Insgesamt wurden 397 Teilnehmer*innen mit mittelschwerer bis schwerer Depression aus 7 Studien eingeschlossen. Dabei zeigte sich eine geringe, statistisch nicht-signifikante Überlegenheit von Lichttherapie (+ Placebo) im Vergleich zu Antidepressiva (+ Placebo). Die Kombination von Lichttherapie und Antidepressiva war derjenigen von Antidepressiva mit Placebo deutlich überlegen. Diese Überlegenheit wurde in der Untergruppe der Patienten mit nicht-saisonaler Depression bestätigt. Es wurden somit hinsichtlich der Wirksamkeit keine Unterschiede zwischen Lichttherapie und Antidepressiva festgestellt, wobei die Kombination beider Interventionen eindeutig überlegen war. Die Autor*innen schlussfolgerten, dass sowohl die Monotherapie mit Licht als auch die Kombination mit Antidepressiva als Erstlinienbehandlung bei saisonalen und nicht saisonalen Depressionen vorgeschlagen werden könne.