Komplementäre und
Integrative Medizin
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Leitartikel Mitgliederzeitschrift: Mit Pflanzenkraft gegen Wechseljahresbeschwerden
Gesundheitstipps kompakt

Mit Pflanzenkraft gegen Wechseljahresbeschwerden

Von Prof. Dr. Ingrid Gerhard

Frauenheilkunde Phytotherapie

In den europäischen Ländern leiden vier von fünf Frauen in den Wechseljahren an Beschwerden. In den vergangenen Jahren hat man den Eindruck gewonnen, dass sowohl die Häufigkeit als auch die Intensität der Beschwerden zugenommen haben. Auch der Beginn der Klagen hat sich in jüngere Jahre verlagert. Dies liegt sicher an der stärkeren Belastung der Frauen, die unter mehr Zeitdruck und Erfolgszwang mit familiären und beruflichen Herausforderungen umgehen müssen. Wenn dann noch die ersten hormonellen Störungen eintreten, brechen sie leicht zusammen. Pflanzenhormone in der Nahrung und Phytotherapeutika können bei Wechseljahresbeschwerden helfen.

Es ist es gar nicht so schwer, sein Gleichgewicht wiederzufinden. Wie in jeder Lebensphase gilt es auch in den Wechseljahren, sich darauf einzustellen, seinen Lebensstil und seine Lebensumstände zu hinterfragen und mutig neue Wege zu beschreiten. Das kann natürlich zwischendurch zu Ängsten, Erschöpfung, Kreislaufproblemen und vielen anderen Symptomen führen. Aber mit einigen Tricks werden Sie gestärkt aus dieser Lebensphase hervorgehen. Da eine hormonelle Therapie heute nicht mehr so großzügig eingesetzt wird wie vor 20 Jahren, werden lieber Psychopharmaka eingenommen, als das Leid zu ertragen. Das kann aber nicht die Lösung sein! Deshalb möchte ich Ihnen in diesem Artikel die Pflanzen vorstellen, die in wissenschaftlichen Studien bewiesen haben, dass sie wirksam bei Wechseljahresbeschwerden eingesetzt werden können.

Pflanzenhormone und Rezeptoren

Jede Körperzelle hat Andockstellen für Hormone, die so genannten Rezeptoren. Von den Östrogenrezeptoren sind bisher zwei verschiedene bekannt: der Östrogenrezeptor-alpha und der Östrogenrezeptor-beta. Sie kommen in unterschiedlicher Häufigkeit in den verschiedenen Geweben vor. Während der eine die Zellen zum Wachstum anregt, also zur Proliferation, wirkt der andere antientzündlich und schützend auf die Zellen. In den Wechseljahren will man Haut, Knochen, Gelenke, Gefäße und Gehirn vor den Alterungserscheinungen schützen, aber nicht die Brust und die Gebärmutter in die Wachstumsphase treiben. Deshalb werden Substanzen eingesetzt, die überwiegend oder ausschließlich den Östrogenrezeptor-beta besetzen.

Viele Pflanzen enthalten Inhaltsstoffe, die eine hormonähnliche Wirkung besitzen, die also bspw. an die Östrogenrezeptoren binden können. Das Positive ist, dass sich die Pflanzenhormone besonders gut an den Östrogenrezeptor-beta anheften. Sie schützen also die Knochen und Gefäße, ohne dass die Schleimhaut in der Gebärmutter wächst oder dass das Brustkrebsrisiko erhöht würde.

Außerdem gibt es Pflanzenhormone, die nicht direkt an die Rezeptoren binden, aber auf anderem Wege die Aktivität der körpereigenen Hormone verändern (modulieren). Als Beispiel füge ich gerne den Leinsamen an, der beim Abbau der Östrogene eingreift und dafür sorgt, dass statt stark östrogenaktiver Abbauprodukte solche entstehen, die fast keinen Östrogeneffekt mehr haben.

Pflanzenhormone in Nahrungsmitteln

Nimmt frau die Pflanzenhormone durch die normale Ernährung auf, so konnte in vielen Studien nachgewiesen werden, dass sie nicht nur einen guten Effekt auf Wechseljahresbeschwerden haben, sondern dass sie auch den gesamten Stoffwechsel verbessern. Einige Beispiele der positiven Wirkungen von Pflanzenhormonen:

  • Senkung des Östrogenspiegels
  • Abnahme von Hitzewallungen, Schlafstörungen
  • Senkung der Blutfette
  • Verbesserung der Glukoseverwertung
  • Verminderung des Knochenabbaus
  • Verbesserung der kognitiven Leistungen
  • Senkung des Risikos für Brust- und Prostatakrebs
  • Senkung des Risikos für Krebs der Gebärmutterschleimhaut
  • Verbesserung der Leber- und Nierenfunktion

In Pflanzen finden sich zwei große Gruppen von Östrogenen: die Isoflavonoide und die Lignane. Die Hauptvertreter mit hohen Konzentrationen an Isoflavonoiden sind Soja und andere Hülsenfrüchte. Ein Abbauprodukt der Isoflavonoide ist das Equol, das die eigentliche Östrogenwirkung aufweist. In Europa besitzen aber nur 25 Prozent der Frauen Enzyme, die das Equol bilden können. Deshalb ist bei uns Soja längst nicht so wirkungsvoll wie bei den Asiatinnen. Hinzu kommt, dass Soja erst nach Fermentierung für unseren Organismus gut verdaulich ist. Auch in Asien werden fermentierte Sojaprodukte bevorzugt.

Die Lignane sind die eher europäischen Pflanzenöstrogene mit besonders hohen Konzentrationen in Leinsamen. Aber auch alle Getreide enthalten sie, ebenso Mais, Gemüse und Früchte. Deshalb ist es so wesentlich, dass Sie zur Verhütung von Wechseljahresbeschwerden und Alterserscheinungen viele Vollkornprodukte und viel Gemüse essen. Allerdings auch hier ist es wichtig, eine gesunde Darmflora zu haben, denn nur durch die Darmbakterien können die Lignane so umgebaut werden, dass sie unseren Zellen nützen. Übrigens: Vegetarierinnen (wenn sie nicht zu viele Milchprodukte verzehren) und besonders Veganerinnen leiden weniger unter Wechseljahresbeschwerden als ihre fleischessenden Geschlechtsgenossinnen.

Traditionelle Pflanzenheilkunde

In der traditionellen Pflanzenheilkunde, sowohl in der europäischen, indischen als auch in der chinesischen, werden Pflanzen und ihre Mischungen eingesetzt, die sich seit Jahrhunderten für die Behandlung von Beschwerden oder Krankheiten bewährt haben. Man nutzt sie als Tees, Tinkturen, für Auflagen, Wickel oder Bäder.

Pflanzenheilkunde für Frauen

  • bei Hitzewallungen in den Wechseljahren kalten Salbeitee trinken,
  • bei Hitzewallungen und nervöser Unruhe braut man sich einen Tee aus Salbei, Rotklee, Heidekrautblüten und Zitronenverbenenblättern,
  • bei Nervosität und Schlafstörungen beruhigt ein Tee aus Melisse und Hopfen,
  • ätherische Öle aus Grapefruit, Limette, Orange vertreiben depressive Verstimmungen,
  • bei zu trockener Scheidenschleimhaut können Sie Aloe vera Gel in die Scheide einführen.
Wechseljahresbeschwerden

Wechseljahresbeschwerden

Sanfte Anwendungen zur Begleitung des Übergangs

Ingrid Gerhard · Annette Kerckhoff

ISBN: 978-3-945150-91-7
Erscheinungsjahr: 2019

6,90 EUR

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Rationale Phytotherapie

Die rationale Phytotherapie stellt Pflanzenmedikamente unter streng regulierten Bedingungen her. Dabei muss sich der Hersteller an das Arzneimittelgesetz halten. Das aufwendige Zulassungsverfahren entspricht dem für synthetische Medikamente. Die Standardisierung der Herstellungsprozesse und eine Vielzahl an Qualitätskontrollen vom Saatgut bis zum Fertigarzneimittel sind Voraussetzungen dafür, dass die in Studien nachgewiesene Wirksamkeit auch wirklich wiederholbar ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass aus einer Pflanze, bspw. Traubensilberkerze, durch unterschiedliche Herstellungsverfahren Produkte verschiedener Firmen durchaus unterschiedlich oder gar nicht wirken können. Man sollte deshalb Phytotherapeutika nicht im Supermarkt kaufen, sondern sich genau das Kleingedruckte ansehen und nur die Pflanzenheilmittel kaufen, die in Studien ihre Wirksamkeit und die fehlenden Nebenwirkungen bewiesen haben.

Im Folgenden werde ich Ihnen die wichtigsten rationalen Phytotherapeutika gegen Wechseljahresbeschwerden vorstellen. Sie sind apotheken-, aber nicht verschreibungspflichtig. Sie können sie sich aber auf einem grünen Rezept oder einem Privatrezept von Ihrem Arzt verschreiben lassen, dann haben Sie die Möglichkeit, den Kaufpreis bei der Steuer einzureichen. Mit Pflanzenkraft gegen Wechseljahresbeschwerden:

Mönchspfeffer (Agnus castus)

Ein anderer Name ist Keuschlamm. Die Namen weisen schon darauf hin, dass die Pflanze eine hormonähnliche Wirkung haben müsste. Sie wurde früher den Mönchen verabreicht, um die sexuellen Gelüste zu dämpfen. Heute ist sie wegen ihrer progesteronähnlichen Inhaltsstoffe die Pflanze, die bereits zu Beginn der Wechseljahre eingenommen werden kann. Es ist die Phase, in der das prämenstruelle Syndrom (PMS) mit Brustspannen, Wassereinlagerungen, Schlafstörungen, Unruhe, Konzentrationsstörungen vorherrscht. Gerne wird deshalb auch das bioidentische Progesteron eingesetzt.

Phytotherapeutika sind u. a.: Agnucaston® Filmtbl.: Spezialextrakt aus Vitex agnus castus BNO 1095, 4 mg Keuschlammfrüchte-Trockenextrakt der Firma Bionorica. Man nimmt täglich eine Filmtablette. Agnolyt® Madaus Kaps. und Agnolyt Madaus Tinktur: Man nimmt täglich 1 Kps. oder 40 Tropfen Lösung. Femicur® N Kapseln (4 mg Trockenextrakt aus Mönchspfefferfrüchten) der Firma Schaper und Brümmer: Man nimmt täglich 1 Kaps.

Für alle Produkte gilt: durchgehend über mindestens drei Monate einnehmen. Sie regulieren sanft den Hormonhaushalt.

Sibirischer Rhabarber (Rheum rhaponticum)

Die Wurzel des sibirischen Rhabarbers enthält östrogenähnliche Inhaltstoffe, die aber nur an den Östrogenrezeptor-beta binden. Ein Phytotherapeutikum ist u. a.: femi-loges® enthält den Spezialextrakt ERr 731®. In einer wissenschaftlichen Studie reduzierten 4mg/Tag des Spezialextrakts signifikant Hitzewallungen und weitere Wechseljahresbeschwerden, ohne dass die Brust oder die Gebärmutterschleimhaut sich veränderten.

Salbei (Salvia officinalis)

Salbei wird eingesetzt, wenn frau am meisten unter Hitzewallungen und Schweißausbrüchen leidet. Neben dem Pflanzenhormon enthält Salbei aber auch ein ätherisches Öl, das Thujon, das in höheren Konzentrationen ein Nervengift ist und zu Schwindel, Halluzinationen und Wahrnehmungsstörungen führen kann. Deshalb ist es bei Salbei besonders wichtig, dass frau ein Produkt kauft, das einen reduzierten Thujongehalt hat. Ein Phytotherapeutikum ist u. a.: Menosan® Salvia Tbl. (Fa. Dr. Vogel, Schweiz) enthalten 3400 mg Salbeiblätterextrakt pro Tablette und praktisch kein Thujon. Sie können unbedenklich auch über längere Zeit eingenommen werden. In einer Studie gegen Placebo reduzierte Menosan® Salvia Häufigkeit und Stärke der Hitzewallungen signifikant.

Wurzelstock der Traubensilberkerze (Cimicifuga racemosa)

Die Traubensilberkerze wurde schon von den amerikanischen Ureinwohnern als Medizin eingesetzt. Daher stammt auch ihr Name "indianische Frauenwurzel". Therapeutisch genutzt wird nicht die auffällige weiße Blütentraube der Pflanze, sondern der Wurzelstock. Hier finden sich zahlreiche heilende Verbindungen, u. a. Triterpenglykoside, die den Hormonstoffwechsel beeinflussen. Dabei ist das Besondere, dass sie nicht die Östrogenrezeptoren besetzen, was zu einer Anregung des Brust- und Gebärmutterwachstums führen könnte, sondern sie verändern (modulieren) die Hormone. Hier gibt es zum einen den äthanolischen Spezialextrakt BNO 1055 der Firma Bionorica, im Handel als Klimadynon® und den isopropanolischen Spezialextrakt der Firma Schaper und Brümmer, im Handel als Remifemin®. Der in mehr als 20 klinischen Studien mit insgesamt über 12.000 Patientinnen untersuchte isopropanolische Spezialextrakt aus Cimicifuga racemosa (iCR) findet sich ausschließlich in Remifemin® und Remifemin® plus.

Mit beiden Spezial-Extrakten aus Traubensilberkerzenwurzelstock wurden so viele Studien durchgeführt, dass auch nach strengen schulmedizinischen Gesichtspunkten diese Produkte zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden empfohlen werden können.

Diese Cimicifuga-Spezial-Extrakte besitzen folgende Wirkung:

  • Bessern Hitzewallungen
  • Bessern psychische Störungen
  • Bessern Schlafstörungen
  • Bessern Scheidentrockenheit
  • Bessern Gelenkbeschwerden
  • Hemmen den Knochenabbau
  • Sie haben keine Wirkungen auf die Brust und die Gebärmutterschleimhaut.
  • Das Thromboserisiko ist nicht erhöht.

Auch Frauen mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko dürfen den Wurzelstock aus Traubensilberkerze einnehmen und sogar Frauen nach Brustkrebs. Die Wirkung einer Antihormontherapie nach Brustkrebs wird nicht gestört, im Gegenteil, es gibt sogar Hinweise, dass die Wirkung von Tamoxifen gesteigert werden kann.

Es gibt viele "generische" Cimicifuga-Präparate, d. h., sie basieren auf einem Standardextrakt eines Zulieferes. Wie extrahiert wurde und ob diese Extrakte genauso wirksam sind wie diejenigen, für die Studien existieren, ist mir nicht bekannt.

Johanniskraut (Hypericum perforatum)

Johanniskraut gehört zu den wenigen Pflanzen, die inzwischen auch von der Schulmedizin eingesetzt werden. Seine Inhaltsstoffe Hypericin und Hyperforin hemmen im Gehirn die Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. Diesen Wirkmechanismus weisen auch synthetische Antidepressiva auf. Bei leichten bis mittelschweren Depressionen können Extrakte aus Johanniskraut genauso wirksam wie chemische Antidepressiva sein. Im Zusammenhang mit den Wechseljahren weise ich nur deshalb darauf hin, weil es einige Frauen mit Wechseljahresbeschwerden gibt, deren psychische Situation besonders schlecht ist. Sie können dann gut auf ein standardisiertes Kombinationspräparat aus Traubensilberkerze und Johanniskraut zurückgreifen, das als Remifemin plus® von der Firma Schaper und Brümmer in der Apotheke erhältlich ist.

In Pflanzen, die wir über die Nahrung zu uns nehmen, und in Pflanzen, die als Heilmittel hergestellt werden, gibt es Inhaltsstoffe, die unseren Hormonstoffwechsel beeinflussen. Sie können zur Erleichterung von Wechseljahresbeschwerden eingesetzt werden, so dass in vielen Fällen auf Hormone oder Psychopharmaka verzichtet werden kann. Allerdings ist immer darauf zu achten, dass auch der Lebensstil stimmt: Ernährung, Bewegung, Gleichgewicht zwischen gutem Stress und Entspannung. Und ein fröhliches Gemüt!

Prof. Dr. Ingrid Gerhard

Ingrid Gerhard ist Frauenärztin und Autorin zahlreicher Fach- und Laienratgeber. Darunter Das Frauen Gesundheitsbuch (TRIAS Verlag; ISBN-13: 978-3830422617) und Die neue Pflanzenheilkunde für Frauen (ZS Verlag Zabert Sandmann GmbH; ISBN-13: 978-3898833028); beide Bücher sind über den Buchhandel zu beziehen. Aktuelle Beiträge von Frau Prof. Dr. Ingrid Gerhard finden Sie unter: www.netzwerk-frauengesundheit.com