Komplementäre und
Integrative Medizin
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Aroma gegen Zahnarztangst

Aroma gegen Zahnarztangst

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Komplementärmedizin Schmerz

Zahnarztangst bzw. die Angst vor zahnärztlichen Eingriffen ist ein Problem. Sie kann zur Vernachlässigung der Mundgesundheit führen aber auch zu einem erhöhten Schmerzempfinden während einer Behandlung. Lässt sich diese Angst durch Aromatherapie lindern?

Kaum die Tür zur Praxis geöffnet, schon steigt der Geruch von zahnärztlichen Materialien in die Nase, dazu vielleicht das gedämpfte Geräusch eines Bohrers im noch entfernten Behandlungszimmer – bei dem einen oder der anderen stellen sich jetzt bereits die Nackenhaare auf. Zahnarztangst ist stark verbreitet, weltweit liegt die Prävalenz bei 15,3% für allgemeine, bei 12,4% für starke und bei 3,3% für schwerwiegende Zahnarztangst, wobei insbesondere Frauen betroffen sind. (2) Manche Menschen vermeiden aufgrund dieser Angst Zahnarzttermine soweit es geht und vernachlässigen damit u.a. die Vorsorge für ihre Mundgesundheit. Doch selbst, wer sich trotzdem in die Praxis traut, hat möglicherweise einen Nachteil, denn Angst erhöht wahrscheinlich das Schmerzempfinden während der Behandlung. (3) Schmerzen können dann wiederum die Angst verstärken, sodass ein Teufelskreis droht. (4,5)

Vier Aromen für AngstpatientInnen

Die vorliegende Studie (1) prüft, ob Aromatherapie ein Mittel sein könnte, um Zahnarztangst zu lindern. In vier zahnärztlichen Praxen kamen hierzu in fünf wöchentlichen Zyklen nacheinander die Einzelgerüche „Orange“ und „Zirbelkiefer“ sowie vergleichbare Geruchsmischungen „Gute Laune“ und „Waldspaziergang“ zum Einsatz, als Kontrolle diente Wasser. Hierzu wurden die ätherischen Öle bzw. das Wasser mittels Vaporisierern/Diffusern sowohl in den Wartezimmern als auch Behandlungsräumen zerstäubt. Der Clou: Die Studie war einfach verblindet, d.h. das Praxisteam wusste, worum es ging, aber den PatientInnen wurde zunächst eine „Cover Story“ mitgeteilt. Die PatientInnen waren in dem Glauben, Ziel der Studie sei es, generell den Effekt von Angst auf die Schmerzempfindlichkeit zu untersuchen – die Aromatherapie bzw. der Einsatz der Gerüche blieb unerwähnt.

Insgesamt marginaler Unterschied

Die mittels Fragebogen erhobenen Daten von insgesamt 486 Teilnehmenden (davon 296 weiblich) konnten ausgewertet werden. Der Grund für den Praxisbesuch war in 44% der Fälle eine Routineuntersuchung, in 44% ein geplanter Eingriff und zu 12% aufgrund akuten Schmerzes. Hinsichtlich der Auslöser-bezogenen Angst (engl. state anxiety) zeigte sich nur ein marginaler Unterschied zwischen der Kontrollgruppe (40.7±11.64) und den Gruppen, die den Aromaölen ausgesetzt waren (38.4±10.54). Auch innerhalb der PatientInnen-Subgruppen für Routineuntersuchung, geplanten Eingriff und akuten Schmerz war der Unterschied nicht signifikant. Der große Spielraum der Standardabweichungen (±11.64 bzw. ±10.54) verweisen allerdings auf große individuelle Unterschiede in der Ausprägung der Angst oder anders ausgedrückt: Angst ist zu großen Teilen etwas Subjektives bzw. hängt oft von subjektiven Merkmalen oder Faktoren ab.

Signifikante Unterschiede bei Subgruppen

Deshalb nahmen die WissenschaftlerInnen weitere Subgruppen-Analysen vor. Wenn man nur die Gruppe der 296 Frauen betrachtete, zeigte sich in den Aromatherapie-Gruppen die Anlass-bezogene Angst im Vergleich zur Kontrollgruppe tatsächlich signifikant verringert (p=0.044). Gleiches trifft auf die Subgruppe von PatientInnen zu, die aufgrund ihrer Charaktereigenschaften oder Denkweise prinzipiell eher zur Angst neigen, bei denen Angst bis zu einem gewissen Grad also einen Teil der Persönlichkeit darstellt. Es konnten 131 Teilnehmende mit erhöhter Angstneigung (engl. trait anxiety) identifiziert werden und auch bei diesen war der Unterschied zwischen Aromaöl und Kontrolle signifikant (p=0.048). Zwar war dieser Unterschied nicht klinisch relevant, für die Betroffenen dürfte jedoch jede Linderung willkommen sein.

Einschätzung

Eigentlich waren 750 Studienteilnehmende geplant, doch vor allem aufgrund der Corona-Pandemie (der Einschluss der PatientInnen fand von Oktober bis Dezember 2022 statt) konnte diese Zahl leider nicht erreicht werden. Die Aussagekraft der Studie (engl. power) fällt mit den 486 ausgewerteten Teilnehmenden von den üblichen 80% somit auf 60.4%. Dazu dürfte das obligatorische Tragen der FFP2-Masken zu einer verringerten Wahrnehmung der ätherischen Öle – und damit eventuell einem beeinträchtigten Ergebnis – geführt haben.

Nichtsdestotrotz scheint Aromatherapie als Mittel gegen Zahnarztangst für Frauen und Menschen, die charakterlich ohnehin ängstlich sind, ein Versuch wert zu sein. Spannend bleibt hier allerdings die Frage, ob die spezifischen Gerüche gewirkt haben oder der Umstand, dass durch sie der typische „Praxisgeruch“ überdeckt worden ist. Entgegen der Hypothesen der WissenschaftlerInnen zeigten sich die Geruchsmischungen („Waldspaziergang“, „Gute Laune“) gegenüber ihren Einzel-Geruch-Pendants („Zirbelkiefer“, „Orange“) ebensowenig überlegen, wie die mit Wald assoziierten Gerüche den Zitrus-Gerüchen. Die Unterschiede zwischen den konkreten ätherischen Ölen waren marginal. Wie es scheint, mag die Reaktion auf spezifische Gerüche ebenso individuell geprägt sein, wie das Angstempfinden.

Literatur zu "Aroma gegen Zahnarztangst"

1) Czakert J, Kandil FI, Boujnah H, Tavakolian P, Blakeslee SB, Stritter W, Dommisch H, Seifert G. Scenting serenity: influence of essential-oil vaporization on dental anxiety - a cluster-randomized, controlled, single-blinded study (AROMA_dent). Sci Rep. 2024 Jun 19;14(1):14143. doi: 10.1038/s41598-024-63657-w. PMID: 38898054; PMCID: PMC11187188. Link

2) Silveira ER, Cademartori MG, Schuch HS, Armfield JA, Demarco FF. Estimated prevalence of dental fear in adults: A systematic review and meta-analysis. J. Dent. 2021;108:103632. doi: 10.1016/j.jdent.2021.103632. Link

3) Lin CS, Wu SY, Yi CA. Association between anxiety and pain in dental treatment: A systematic review and meta-analysis. J. Dent. Res. 2017;96(2):153–162. doi: 10.1177/0022034516678168. Link

4) Armfield JM, Heaton LJ. Management of fear and anxiety in the dental clinic: A review. Aust. Dent. J. 2013;58(4):390–407. doi: 10.1111/adj.12118. Link

5) Armfield JM, Stewart JF, Spencer AJ. The vicious cycle of dental fear: Exploring the interplay between oral health, service utilization and dental fear. BMC Oral Health. 2007;7:1. doi: 10.1186/1472-6831-7-1. Link

Michèl Gehrke, M.A.
Michèl Gehrke, M.A.

Pressesprecher

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