Waldbaden in der Natur und virtuell: Innovative Ansätze bei Fatigue und Depressionen
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Integrative Medizin Wissenschaft
Naturräume und Naturerleben wirken sich positiv auf die körperliche sowie mentale Gesundheit aus. Das Potenzial sogenannter „Nature-based Therapies“ rückt daher zunehmend in den medizinischen Fokus. Speziell das „Waldbaden“ wird mit guten Ergebnissen beforscht. Ein Problem: Gerade Patient*innengruppen, die besonders profitieren würden, fällt der Weg in den Wald nicht leicht, weil sie z.B. an Erschöpfung oder depressionsbedingter Antriebslosigkeit leiden. Die Carstens-Stiftung fördert daher mit rund 750.000 EUR zwei innovative Projekte, die den Wald teilweise zu den Menschen bringen – mittels Virtual Reality, Hypnose und Imagination.
Globale Herausforderungen: Krebsbedingte Erschöpfung und Depressionen
Vier von fünf Menschen, die eine onkologische Erkrankung überlebt haben, leiden noch Jahre nach Abschluss der Therapie unter den biopsychosozialen Folgen. (1) Zu den häufigsten Symptomen gehört die krebsbedingte Erschöpfung (cancer-related Fatigue) (2), mit negativen Auswirkungen auf die Schlafqualität sowie weiteren direkten Beziehungen zu emotionalen und kognitiven Symptomen. (3,4)
Zu letzteren zählt auch die Depression. Die WHO benannte schon 2017 die Depression als führende Ursache für Leiden und Einschränkungen weltweit, mit steigender Prävalenz in allen Altersgruppen. (5) Im Zuge der Corona-Pandemie hat sich die Rate der Depressionen noch mehr als verdoppelt. (6-10) Beunruhigend: Weniger als die Hälfte der Betroffenen haben wegen psychischer Probleme jedoch Kontakt zu Gesundheitsdiensten. (11) Die Wartezeiten auf Psychotherapieplätze sind lang, antidepressive Medikamente nicht ohne mögliche Nebenwirkungen.
Waldbaden als vielversprechender Therapieansatz
In der Suche nach nicht-pharmakologischen Behandlungsansätzen kristallisieren sich mehr und mehr naturbasierte Therapien, insbesondere das Waldbaden (forest bathing, Shinrin-yoku), als vielversprechend heraus. Erste positive Effekte konnten u.a. auf Schlafstörungen, Fatigue, Depressivität, Ängstlichkeit, Konzentrationsstörungen, Stressempfinden und Lebensqualität nachgewiesen werden. (12-44) Dabei scheinen der Ort und die sensorischen Wahrnehmungen eine entscheidende Rolle zu spielen. (45)
Menschen mit krebsbedingter Fatigue oder Depression würden demnach vermutlich in hohem Maße vom Waldbaden profitieren – allerdings fällt der Weg in den Wald gerade wegen der Erschöpfung und Antriebslosigkeit auch besonders schwer; von räumlichen Entfernungen in einem städtisch geprägten Umfeld ganz abgesehen. Zwei innovative Projekte gehen genau diese Problemstellung nun mit finanzieller Förderung der Carstens-Stiftung an.
FOREST
Unter dem Akronym FOREST führen PD Dr. med. Claudia Löffler (Universitätsklinik Würzburg), Dr. med. Marcela Winkler (Robert Bosch Centrum für Integrative Medizin und Gesundheit, Stuttgart), Prof. Dr. rer. medic. Holger Cramer (Universitätsklinikum Tübingen) und ihr Team an den Standorten Würzburg und Stuttgart eine randomisierte kontrollierte Studie zum Waldbaden bei der krebsbedingten Fatigue durch.
Geplant sind vier Arme. Insgesamt 172 Patient*innen werden randomisiert einer von drei Interventionsgruppen oder einer Wartekontrollgruppe zugeteilt. Verglichen werden dabei echtes Waldbaden (Arm 1), mittels VR-Brille simuliertes Waldbaden (Arm 2), imaginiertes Waldbaden (Arm 3) und keine Intervention (Arm 4). Die Proband*innen aus Arm 1 werden sich in Laubmischwäldern aufhalten, passend zu den dortigen Baumbeständen wird für die Arme 2 und 3 eine eigene Mischung ätherischer Öle zusammengestellt, um eine bessere Vergleichbarkeit der Erfahrung zu erzielen. Die Applikation erfolgt während der VR-Simulation bzw. Imagination über Aromadiffusoren. Die Interventionen sollen jeweils 30 min. dauern und einmal wöchentlich über einen Zeitraum von acht Wochen stattfinden.
Hauptzielparameter ist die Symptomreduktion im Hinblick auf ein Cluster aus krebsbedingter Fatigue und den assoziierten Variablen Schlaf, Depressivität und Konzentration, die mittels multivariabler Varianzanalyse untersucht werden. Es wird vier Messzeitpunkte geben: Vor der Intervention, nach der Hälfte der Intervention, nach der Intervention und zwei Monate nach Interventionsende. Neben validierten Fragebögen werden auch Blutuntersuchungen und Wearables eingesetzt, um Vitalparameter zu erfassen.
NatureDeep
Ein Team um Dr. med. Julia Siewert, Dr. med. Miriam Ortiz und Prof. Dr. med. Benno Brinkhaus (Charité – Universitätsmedizin Berlin) konzentriert sich in ihrer randomisiert kontrollierten Studie auf die Wirkung von naturfokussierten Achtsamkeitsübungen und Hypnose auf die Erkrankung Depression.
Insgesamt 135 Patient*innen mit leichter bis mittelschwerer Depression werden in drei Gruppen randomisiert. Die erste Gruppe wird naturfokussierte Achtsamkeitsübungen im Berliner Stadtwald durchführen, die zweite Gruppe wird unter Hypnose eine vergleichbare Natur imaginieren und in einem Trancezustand dieselben Achtsamkeitsübungen absolvieren. In beiden Gruppen erhalten die Teilnehmenden ihre bestehende Routineversorgung weiter, etwa Psychotherapie und/oder antidepressive Medikamente. Bei beiden Interventionen sind wöchentliche Termine im Gruppensetting mit einer Dauer von je 90 min. vorgesehen, der Gesamtzeitraum beträgt acht Wochen. Die Teilnehmenden werden angehalten, zusätzlich mindestens dreimal in der Woche für je 30 min. die Übungen selbständig durchzuführen. Die dritte Gruppe dient als Kontrolle und wird nur ihre Routineversorgung fortführen, aber keinerlei naturbasierte Intervention erhalten.
Primärer Outcome-Parameter ist der Schweregrad der Depressivität, bewertet mittels Fremdbeurteilungsskala MADRS nach acht Wochen. Die Bewertung wird verblindet stattfinden. Zusätzliche Nachuntersuchungen werden 16 Wochen nach Studienschluss durchgeführt, ein Follow-up ist nach 12 Monaten vorgesehen. Sekundär werden weitere Parameter erfasst, darunter der subjektive Schweregrad der Depressivität, das subjektive Stressempfinden und die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Die Erfahrungen und subjektiven Effekte der Interventionen sollen neben Fragebögen auch mittels qualitativer Interviews erhoben werden.
Ausblick
Diese Auswahl und Zusammenstellung der Interventionen soll eine Brücke schlagen zwischen traditionellen Verfahren, Mind-Body-based Interventionen und modernsten Technologien. Das Ziel ist es, mittelfristig einer möglichst großen Zahl an Patient*innen ein zu ihrer individuellen Situation passendes und effektives Werkzeug für die eigene Gesundheit an die Hand geben zu können. Ergebnisse aus beiden Projekten werden in drei Jahren erwartet.