Virale Infektionen pflanzlich behandeln
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Phytotherapie Immunsystem
Das Interesse an Maßnahmen aus der Naturheilkunde, die präventiv zur Stärkung des Immunsystems angewendet und kurativ bei viralen Infekten eingesetzt werden können, hat in diesem Jahr durch das Auftreten der neuartigen Variante des Coronavirus zugenommen.
In der Grundlagenforschung werden die antiviralen Eigenschaften diverser Pflanzen gegenwärtig mittels computergestützter Screening-Methoden sowie in in-vitro- und in-vivo-Experimenten erforscht. Die klinische Forschung zu dem Einsatz von medizinischen Pflanzen für Prävention und Linderung der Symptome bei Infektionen greift einerseits auf die jahrhundertelange Erfahrung aus diversen traditionellen Medizinsystemen zurück. Andererseits werden mittels moderner Technologien in der Laborforschung die Wirkmechanismen von medizinischen Pflanzen im Rahmen des genetischen Paradigmas erforscht. Für das gestiegene Interesse an der Erforschung und der Ausweitung des Einsatzes von Phytotherapie bei viralen Infektionen sind mehrere Faktoren verantwortlich: Erstens ist die Wichtigkeit des Einsatzes medizinischer Pflanzen auf globaler Ebene zu berücksichtigen, denn für über 80% der Weltbevölkerung stellen diverse Formen der Pflanzenheilkunde im Zusammenhang traditioneller Heilsysteme die primäre Behandlungsmethode dar. (1) Zweitens sind medizinische Pflanzen im Vergleich zu synthetischen Pharmazeutika kostengünstiger zu erwerben und auf einer breiteren Ebene für die Bevölkerung, auch in Ländern des sogenannten globalen Südens, verfügbar.
Viruzide Eigenschaften von Pflanzen – Stand der Grundlagenforschung
Bereits vor der Entdeckung des neuartigen Coronavirus Sars-CoV-2 wurden in der Grundlagenwissenschaft diverse Forschungsprojekte zum Einsatz medizinischer Pflanzen bei viralen Infekten durchgeführt: Nicht nur bei Erkältungskrankheiten, sondern auch in der Behandlung von Malaria haben sich Phytopharmaka als wirksam erwiesen, wobei darauf hinzuweisen ist, dass in der Grundlagenforschung in-vitro lediglich an einzelnen Zelllinien experimentiert wird, und in der in-vivo Forschung Wirkstoffe an sogenannten virusbedingten Erkältungsmodellen, also Versuchstieren, die mit bestimmten Viren infiziert wurden, getestet werden. Die Übertragbarkeit der generierten Erkenntnisse auf den gesamten menschlichen Organismus ist daher als begrenzt einzustufen.
Im Fokus grundlagenwissenschaftlicher Forschungsprojekte steht zu Beginn die Auswahl pflanzlicher Wirkstoffe, an denen sich unter Laborbedingungen antivirale Eigenschaften nachweisen lassen. Gegenwärtige Forschungsprojekte im in silico Bereich, also die Analyse verschiedener Molekülverbindungen primärer und sekundärer Pflanzenstoffe in Computersimulationen, suchen nach antiviralen Wirkmechanismen, die auf der genetischen Regulationsebene angesiedelt sind. Konkret wurden von Adhikari et al. verschiedene Wirkmechanismen herausgestellt, die auch im Rahmen der Herstellung synthetischer Pharmazeutika zur Behandlung viraler Infekte Relevanz haben. (2)
Erstens können verschiedene Pflanzenstoffe, wie beispielsweise Polysachharide, den Viruseintritt in die Zellen des Körpers verhindern und somit als prophylaktische Maßnahme eingesetzt werden. Polysaccharide sind u. a. in der medizinischen Pflanze Echinacea (Sonnenhut) enthalten, dessen präventiver Einsatz bei viralen Infekten in der klinischen Forschung an Patienten bereits erprobt wird. Neben der Verhinderung des Viruseintritts in die Zellen des Körpers, können sekundäre Pflanzenstoffe auf die Transkription des Virus einwirken. Die Replikation des Virus in den Zellen kann ebenfalls durch diverse Pflanzenstoffe beeinflusst bzw. gestört werden. Die Wirkstoffe bestimmter medizinischer Pflanzen werden darüber hinaus relevant im Bereich der Einwirkung auf die Virushülle, insofern das Spike-Protein von Sars-CoV-2 durch verschiedene Pflanzenstoffe blockiert werden kann. (3)
Neben diesen spezifischen genetischen Regulationsmechanismen, die direkt auf die Struktur und das Verbreitungsgeschehen des RNA-Virus im Organismus einwirken, konnte in einer in-vitro Studie an menschlichen Lungenzellen herausgestellt werden, dass drei verschiedene Alkaloide den virusinduzierten Zelltod verhindern können. (4) Unspezifische Wirkungen von medizinischen Pflanzen sind somit ebenfalls für die Grundlagenwissenschaft relevant, insofern eine allgemeine Stärkung des Immunsystems durch primäre und sekundäre Wirkstoffe erreicht werden kann. Die präventiven Wirkungen diverser Pflanzenstoffe lassen sich nicht auf monokausale Wirkmechanismen herunterbrechen, sondern haben eine ganzheitliche Wirkung auf das menschliche Immunsystem. Als Beispiel ist Echinacea zur Prävention zu nennen.
Andererseits sind auch im Rahmen der symptomatischen Linderung viraler Infekte unspezifische Wirkungen medizinischer Pflanzen bedeutsam. Als Beispiel für eine medizinische Pflanze, deren spezifischer Wirkmechanismus im genetischen Regulationssystemen noch nicht herausgefiltert werden konnte, die aber dennoch bereits bei der Behandlung von viralen Infekten eingesetzt wird, ist Artemisia annua, der einjährige Beifuß, aufzuführen. Insbesondere im Rahmen der Infektionskrankheit Malaria wurden die Eigenschaften von Artemisinin, einem sekundären Pflanzenwirkstoff des einjährigen Beifußes, zur Behandlung dieser Krankheit erforscht. Diese traditionelle medizinische Pflanze wird nun auch im Rahmen der Behandlung von Covid-19 eingesetzt, jedoch fehlen bisher sowohl konkrete Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung bezüglich des spezifischen biochemischen Wirkprofils (5) als auch klinische Studien an Patienten, die die Wirksamkeit bei Covid-19 eindeutig belegen. (6)
In den gegenwärtigen Forschungsprojekten im Bereich der Grundlagenwissenschaft zu antiviralen Eigenschaften primärer und sekundärer Pflanzenstoffe für die Prävention einer Infektion mit Sars-CoV-2 und der Behandlung von Covid-19 wurden insgesamt über 200 mögliche Pflanzenwirkstoffe gescreent, die antivirale Wirkmechanismen aufweisen. Die Erprobung diverser medizinischer Pflanzen, die verschiedene der gescreenten Wirkstoffe enthalten, findet in der klinischen Forschung an Patienten insbesondere in China und in Indien bereits statt. (7)
Infektionen erfolgreich vorbeugen und behandeln – Klinische Evidenzlage
Die klinische Forschung zum Einsatz von Phytotherapeutika bei Covid-19 steht noch am Anfang, doch kann bei der Auswahl geeigneter Pflanzen bereits auf die Erkenntnisse aus der Behandlung anderer viraler Infektionen mit medizinischen Pflanzen zurückgegriffen werden. In einem Übersichtsartikel zu phytotherapeutischen Off-Label-Empfehlungen zur präventiven Gabe von medizinischen Pflanzen und der Behandlung von leichten Covid-19 Verläufen wurden vier Phytotherapeutika ausgewählt: Grüntee, Kapland-Pelargonie, Sonnenhut und Zistrose. (8)
Aus der Grundlagenforschung ist bekannt, dass Katechine, die einer der Hauptwirkstoffe von grünem Tee sind, "die Immunität gegen virale, insbesondere Influenza-Infektionen verbessern." (9) Aus mehreren epidemiologischen Studien kann geschlussfolgert werden, dass sowohl Gurgeln mit grünem Tee als auch die Einnahme von Kapseln mit Grüntee-Extrakt einer viralen Infektion vorbeugen kann, insofern ein immunstimulierender Effekt gegeben ist. Als präventive Off-Label-Maßnahme kann Grüntee zur Stärkung des Immunsystems gegen virale Infektionen angewendet werden.
Eine weitere medizinische Pflanze, die in der Grundlagenforschung immunmodulierende Eigenschaften aufweist und sich in der klinischen Forschung als wirksam im Rahmen der Prävention von viralen Infektionen erwiesen hat, ist Echinacea. Sowohl in Präventionsstudien als auch im Rahmen der Symptomlinderung können standardisierte Echinacea-Präparate erfolgreich eingesetzt werden, wie auch in einem Cochrane Review herausgestellt wurde. (10) Stange et al. schlussfolgern daher aus der vorliegenden Evidenz folgendes: "Grundsätzlich erscheinen klinisch gut untersuchte Echinacea-Präparate aussichtsreich als Vorbeugungsmittel auch gegen Covid-19, um zumindest über wenige Tage bis Wochen bei erhöhter Ansteckungsgefahr eine Verringerung viraler Infektionen bzw. deren symptomatischer Ausprägung zu bewirken." (11) Es fehlen zu diesem Zeitpunkt noch klinische Studien im Bereich der Anwendung von Echinacea zur Prävention einer Infektion mit Sars-CoV-2 und der symptomatischen Behandlung von Covid-19 Erkrankungen.
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Zum Shop »Die Kapland-Pelargonie (Umckaloabo) wird bereits bei diversen Atemwegsinfektionen eingesetzt, und aus der Grundlagenforschung ist bekannt, dass diese medizinische Pflanze sowohl antivirale als auch antibakterielle Eigenschaften besitzt. In klinischen Studien hat sich die Kapland-Pelargonie als wirksames Mittel zur Symptomlinderung bei Erkältungskrankheiten und Bronchitis erwiesen. Umckaloabo kann demnach als Off-Label-Anwendung bei leichteren Covid-19 Verläufen eingesetzt werden, wie Stange et al. schlussfolgern: "Das als ‚Phytobiotikum‘ ausgelobte Arzneimittel kann daher lediglich bei leichten Verläufen mit akuter Bronchitis (mit oder ohne bakterielle Superinfektion) zur Symptomlinderung als Off-Label-Behandlung empfohlen werden." (12)
Eine weitere medizinische Pflanze, die zur Behandlung von Symptomen viraler Infektionen in Betracht gezogen werden kann, ist die Zistrose. In einem RCT erwies sich ein Extrakt aus der Zistrose als wirksam, um die Symptome von Atemwegsinfektionen zu lindern. (13) Leider liegt bisher lediglich diese eine Studie zum Einsatz von Zistrose an Patienten mit viralen Infektionen der oberen Atemwege vor, daher ist im Bereich der evidenzbasierten Medizin weitere Forschung notwendig, bis eine Empfehlung zur Anwendung der Zistrose als Off-Label-Behandlung gegeben werden kann.
Artemisia annua zur symptomatischen Therapie von Covid-19- Erkrankungen wird gegenwärtig insbesondere in den Ländern des sogenannten globalen Südens als Off-Label-Intervention eingesetzt. In diesem Kontext fordern Kapepula et al. die Durchführung von klinischen Studien zum Einsatz dieser medizinischen Pflanze, da die therapeutische Anwendung momentan lediglich im Rahmen von unsystematischen Heilversuchen erfolgt. (14) Während des SARS-CoV Ausbruches 2002/2003 in China wurden sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der Behandlung von Patienten Potentiale dieser Pflanze herausgestellt. Weitere Forschung zur antiviralen Wirkung dieser medizinischen Pflanze im Rahmen der Behandlung von Covid-19 Erkrankungen wird daher auch von Haq et al. empfohlen, die mit der Identifizierung eines spezifischen antiviralen Wirkmechanismus die Hoffnung verbinden, ein wirksames und kostengünstiges Phytotherapeutikum zur Symptomlinderung zur Verfügung stellen zu können. (15)
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Virale Infektionen - Prophylaxe und symptomatische Therapie
Abschließend ist zu betonen, dass die Forschungsförderung im Bereich der Phytotherapie nicht nur als kosteneffizient einzustufen ist (16) , sondern der Einsatz von medizinischen Pflanzen als vielversprechende Alternative für einen präventive Einsatz wie auch für eine symptomatische Therapie bei viralen Infekten eingeordnet werden kann. Großangelegte Präventionsstudien wären im Bereich des Einsatzes von medizinischen Pflanzen derzeit sinnvoll und förderungswürdig: „Ein Kollektiv, das bestimmte naturheilkundliche Maßnahmen etwa in Pflegeheimen, Kindergärten oder Schulen ohne Kontrolle einführe, wäre im Vergleich zu Standarddaten durchaus bewertbar, da wir in Kürze viele Daten zu Stichproben aus der Bevölkerung haben werden. Solche Studien ohne randomisierte Zuteilung mit einer Placebo-Gabe könnten im Sinne epidemiologischer Feldforschung aussagekräftige Ergebnisse liefern und würden ab ca. 1 Mio. € finanzierbar sein.“ (17) Insbesondere vor dem Hintergrund der vorläufigen Ergebnisse der WHO-Studie zu dem Einsatz antiviraler Pharmazeutika bei Covid-19 Patienten, erscheint die Erforschung des Einsatzes von medizinischen Pflanzen zur Prävention und symptomatischen Behandlung von Infektionen mit dem neuen Coronavirus nicht nur geboten, sondern geradezu überfällig zu sein. Die vier bekanntesten antiviralen Medikamente, die bei COVID-19 Patienten derzeit eingesetzt werden, haben sich in der fortlaufenden global angelegten WHO-Studie an über 7.000 Patienten nicht als wirksam erwiesen: „These Remdesivir, Hydroxychloroquine, Lopinavir and Interferon regimes appeared to have little or no effect on hospitalized COVID-19, as indicated by overall mortality, initiation of ventilation and duration of hospital stay.“ (18)
Im Bereich der Phytotherapie stehen derzeit viele medizinische Pflanzen zur Verfügung, die sowohl zur Prävention als auch zur Linderung von Symptomen bei viralen Infektionen eingesetzt werden können. Zu bedenken ist dabei sowohl im Rahmen der Ergebnisse aus der Grundlagenforschung, die an mittlerweile über 200 einzelnen medizinischen Pflanzen durchgeführt wird, als auch im Bereich der klinischen Forschung, dass lediglich die Erforschung einzelner Mechanismen im Fokus der Forschungsprojekte steht. Ein Forschungsansatz zum Einsatz von Kombinationen verschiedener Pflanzenwirkstoffe, die das reduktionistische Verständnis überwindet, ist in der gegenwärtigen Medizinforschung bisher lediglich in Indien zu finden, wo traditionelle Kräutermischungen zur Behandlung von Sars-CoV-2 Infektionen eingesetzt werden. (19)