Komplementäre und
Integrative Medizin
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Naturheilkundliche Selbsthilfe bei Post-COVID-Syndrom (NaShPoCo)
Zwischenbericht

Naturheilkundliche Selbsthilfe bei Post-COVID-Syndrom (NaShPoCo)

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Post-COVID COVID Integrative Medizin

Die Carstens-Stiftung nahm eine Vorreiter-Position in der Erforschung von Post-COVID und seinen Behandlungsmöglichkeiten ein. Die erste entsprechende Ausschreibung erfolgte bereits 2021 und ist dann sukzessive ergänzt worden. Mit einer Gesamtfördersumme von 1,2 Millionen Euro werden aktuell vier Projekte in Berlin, Essen und Tübingen unterstützt, die wirksame Verfahren aus der Komplementären und Integrativen Medizin (KIM) identifizieren und prüfen sollen. Eines davon ist die an der Universitätsmedizin Essen angesiedelte Studie „Naturheilkundliche Selbsthilfe für PatientInnen mit Post-COVID-Syndrom“ (NaShPoCo).

Studiendesign

Ziel von NaShPoCo ist die Steigerung der Selbsthilfe von Post-COVID-Betroffenen durch ein multimodales Gruppenprogramm auf Basis klassisch naturheilkundlicher bzw. der Traditionellen Europäischen, Chinesischen und Indischen Medizin (TEM, TCM, TIM) entstammender Strategien. Zur Überprüfung der Wirksamkeit dieses Programms wurde ein randomisiert kontrolliertes Design als Add-On zur Standardtherapie im Sinne einer Usual Care im Vergleich zur Standardtherapie allein (d.h. keine aktive Studienintervention/Warteliste) gewählt. Endpunkte der Studie umfassen sowohl subjektive (von den PatientInnen empfundene und berichtete) als auch objektive (ärztlich erhobene) Variablen. Der primäre Endpunkt ist definiert als die Belastung durch die – individuell zumeist sehr unterschiedlich ausgeprägten – Post-COVID-Symptome.

Hilfe zur Selbsthilfe

Das 10-wöchige multimodale Gruppenprogramm basiert auf Verfahren der TEM, insbesondere auf den fünf Therapiesäulen nach Sebastian Kneipp: Ernährungstherapie, Bewegungstherapie, Hydrotherapie, Phytotherapie und Ordnungstherapie. Im Rahmen der vertiefenden Interventionsentwicklung wurde es um einzelne Verfahren der TCM und TIM ergänzt und das wöchentliche Pensum auf 6 Stunden erweitert. Der Schwerpunkt der Studienintervention liegt dabei auf dem Erlernen von Selbsthilfestrategien, d.h., der nachhaltigen Transferierung von Verhaltensänderungen in den Alltag der PatientInnen.

Das NaSh-Programm und seine Bausteine

Die Ernährungstherapie umfasst Edukation und Lehrküche zu pflanzenbasierter, entzündungshemmender Vollwerternährung und medizinischen Tees. Sie ist vegetarisch ausgerichtet, histaminarm, ballaststoffreich und reich an Omega-3-Fettsäuren. Den PatientInnen wird vermittelt, jeden Tag Gemüse und Obst zu essen, Lebensmittel mit vielen natürlichen sekundären Pflanzenstoffen zu sich zu nehmen und möglichst selbst zu kochen, damit wenig hoch-verarbeitete Lebensmittel auf den Tisch kommen.

Die Bewegungstherapie beinhaltet ebenfalls Edukation zu verschiedenen konventionellen und komplementären Bewegungsformen sowie aktive achtsame Bewegungseinheiten Indoor als auch im nahegelegenen Gruga-Park. Darunter z.B.: Gehmeditationen, Stretch-/Dehnübungen und Übungen aus dem Yoga und QiGong. Wert wird dabei auf dosierte Einheiten und Regeneration nach dem Pacing-Prinzip gelegt, um eine Überforderung zu vermeiden.

Im Rahmen der Hydrotherapie werden u.a. Inhalationen, Wickel und Auflagen, alternierende Warm- und Kaltwasseranwendungen und Trockenbürstungen angeboten. Die Maßnahmen werden spezifisch für die jeweilige Symptomatik angepasst und unterstützen Ausleitungsprozesse oder den körpereigenen zirkadianen Rhythmus.

Bezüglich der Phytotherapie beschränkt sich die Studie aus berufsrechtlichen Gründen auf die ärztliche Beratung zu (nicht Gabe von) pflanzenheilkundlichen Therapieoptionen zur Selbstanwendung für individuelle Post-COVID-Symptome wie Schlafstörungen, Verdauungsbeschwerden, Schmerzen, Husten, Ängste und Gedankenkreisen.

Im Zentrum der Ordnungstherapie steht die Wiedererlangung des Gespürs für und des Wissens um die natürlichen Bedürfnisse von Körper, Geist und Seele. Im Rahmen der Gruppentreffen werden verschiedenen Strategien erarbeitet, um eine Balance der Lebensführung in beruflichen, familiären und sozialen Bereichen zu schaffen. Dabei wird insbesondere mit körperorientierten Spannungsregulationsmethoden für das autonome Nervensystem gearbeitet, da PatientInnen zumeist zu erschöpft sind, um sich zu bewegen und innerlich zu „aufgedreht“, um sich zu entspannen. Hier ist eine Vagus-Nerv-Regulation sinnvoll, die im besten Fall beide Anteile des Sympathikus und Parasympathikus gleichzeitig anspricht, sodass die ProbandInnen wieder beginnen, Vertrauen in den eigenen Körper und seine Leistungen aufzubauen.

Zu den festen Elementen des NaSh-Programms zählen außerdem die morgendliche gemeinsame Visite von Studienarzt und Ordnungstherapeutin sowie die wöchentliche, regulationsmedizinisch eingesetzte Ohr-Akupunktur nach der Mittagspause. In der Visite werden u.a. Fortschritte besprochen, individuelle Symptomatiken nachverfolgt und Empfehlungen gegeben.

Aktueller Stand

Im April 2023 wurde mit der Rekrutierung begonnen. Bis dato haben sich 181 Studieninteressierte gemeldet, von welchen alle gescreent und sukzessive zu Einschlussuntersuchungen eingeladen wurden. Insgesamt 23 der 86 angestrebten PatientInnen wurden bereits randomisiert, von diesen haben 8 die erste Gruppenintervention von 10 Wochen (09.05.-11.07.2023) absolviert. Der Start der Interventionen für die zweite Gruppe, an der PatientInnen der Warteliste sowie neu rekrutierte teilnehmen, ist für Ende August 2023 geplant. Im Oktober 2023 soll eine dritte, parallele Gruppe starten, um möglichst vielen Interessenten eine zeitnahe Studienteilnahme zu ermöglichen. Geplant ist, ab 2024 weiterhin zwei parallele Studiengruppen laufen zu lassen.

Erste Ergebnisse

Es hat sich gezeigt, dass eine direkte Zusammenarbeit von Arzt, Pflege und Therapeuten sehr wertvoll ist: So kann auf individuelle Symptome und Behandlungswünsche eingegangen werden und die Gruppe lernt auch voneinander. In der Prozessbegleitung der Gruppe fällt eine Ressourcenaktivierung auf: Das gemeinsame Erarbeiten von handlungsorientierten Lösungsmöglichkeiten holt die PatientInnen aus ihrem Ohnmachtserleben heraus. Der Umgang mit Stress und Leistungsdruck beginnt sich nach der Hälfte der Zeit des Programms zu verändern. Die Vagus-Regulationsmethoden werden dankbar angenommen und teilweise regelmäßig auch zu Hause geübt. In den Worten der Betroffenen drückt sich dies folgendermaßen aus:

„Ich weiß jetzt besser, was ich tun kann und fühle mich nicht mehr so alleine.“

„Die Umsetzung der Ernährung macht auch meiner Familie Spaß.“

„Am Anfang fand ich die Kneipp-Anwendungen sehr unangenehm, aber inzwischen kann ich fast meinen ganzen Körper kalt abduschen. Und das Training bewirkt wirklich eine Veränderung.“

„Ich kann etwas besser durchschlafen.“

„Ich bin beeindruckt darüber, wie viel Ihr wisst und wie viel Ihr uns zeigen könnt.“

 

Fallberichte

Exemplarisch können hier zwei vom Studienarzt dokumentierte Fallberichte angeführt werden:

Patientin E.

Die anfängliche Leistungsfähigkeit lag bei ca. 20-30% und am Ende bei 80-90%. Muskelschwäche und Muskelschmerzen haben sich verbessert. Es besteht die Tendenz zum „Sekundenschlaf“, dieser muss noch näher untersucht werden, hierüber wurde die Patientin aufgeklärt. Folgende Selbsthilfestrategien wurden angewendet: Kneipp-Anwendungen in Verbindung mit Sauna, intermittierendes Fasten 16/8 und die Reduktion von Kohlenhydraten. Entspannung im Alltag ist ein wichtiges Thema, „erstmal Durchatmen“ und die Eröffnung von „Reaktions-Aktions-Räumen“ im Alltag wurden geübt, hierbei war die Anwendung von „Minis“ (Kurzentspannungsübungen in alltäglichen Situationen) sehr hilfreich. Die Ohrakupunktur wurde vor allem in Hinblick auf das Schmerzgeschehen sehr positiv bewertet. Zum Abschluss wurden noch hilfreiche Akupressurpunkte zur Selbsthilfe geschult.

Bericht des Studienarztes

Patientin I.

Die Patientin berichtete anfangs über ein massives kognitives Leistungsdefizit im Sinne von „Brain-Fog“ was ihr im beruflichen Alltag massive Probleme mache. Die Leistungsfähigkeit lag anfangs bei 50% und gegen Ende bei 90-95%. Geruchs- und Geschmacksstörungen waren vollständig rückläufig. Das Symptom der trockenen Augen und der Menstruationsbeschwerden bedarf weiterer Abklärung. Folgende Selbsthilfestrategien wurden durchgeführt: Kneipp-Therapie, Atemtherapie/Entspannung. Aus dem Bereich Ernährung wurde verinnerlicht, dass die regelmäßige Einnahme von hochwertigen und vollwertigen Mahlzeiten die Leistungsfähigkeit positiv beeinflusst. Die Ohrakupunktur wurde vor allem in Bezug auf die Verbesserung des Geruchs- und Geschmackssinns als außergewöhnlich positiv bewertet. Es erfolgte auch eine Beratung bezüglich sinnvoller Nahrungsergänzungsmittel. Hiervon ist vor allem die Einnahme von Nattokinase bzgl. der kognitiven Einschränkungen sehr positiv bewertet worden.

Bericht des Studienarztes

Michèl Gehrke, M.A.
Michèl Gehrke, M.A.

Pressesprecher

Telefon: 0201 56 305 61