Akupunktur und Wissenschaft
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Update vom 19.04.2022
Integrative Medizin Akupunktur TCM
Akupunktur gehört zu den verbreitetsten Verfahren der Komplementären und Integrativen Medizin (KIM). Ursprünglich aus China stammend, hat die Nadeltherapie weltweite Verbreitung gefunden.
Akupunktur und ihre Verbreitung
Mit Stand 2020 kommen in ihrem Heimatland auf 100.000 Einwohner 1,31 Therapeuten, die Akupunktur anbieten. [01] In den USA haben laut einer Studie 2021 ungefähr 1,5% der Bevölkerung mindestens einmal in ihrem Leben Erfahrungen mit der Methode gemacht. [02] Für Europa ist mit 1,4% ein ähnlicher Wert für die Nutzung innerhalb der letzten 12 Monate dokumentiert worden. [03] Neben der chinesischen Phytotherapie (Kräuter), einer speziellen Ernährungslehre, Massagetechniken wie Tuina und Bewegungsübungen wie Tai Chi ist die Akupunktur ein integraler Bestandteil der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM).
Medizinsysteme als Wissenskulturen
Anfang 2002 begannen in Deutschland die unter anderem von der AOK beziehungsweise der Technikerkrankenkasse geförderten GERAC- (German Acupuncture) und ART- (Acupuncture Randomized Trials) Studien. Ziel der Studien war die Beurteilung der Wirksamkeit der chinesischen Akupunktur im Vergleich zu einer Schein-Akupunktur und zur etablierten Standardtherapie bei chronischer Migräne, chronischem Spannungskopfschmerz, Kreuzschmerz und Kniegelenksarthrose. [04] Die Studien waren mit 300.000 geplanten Patienten in der Kohortenstudie und mehr als 3.600 Patienten in den randomisierten, kontrollierten Studien für ein komplementärmedizinisches Therapieverfahren verhältnismäßig groß angelegt. Ihr methodisches Design galt einigen Forschern als hochwertig und innovativ. [05] Andere monierten allerdings, dass es für die Akupunktur keine sinnvolle Placebokontrolle gäbe. Mittlerweile ist klar, dass ein Mangel an Verständnis für den Wirkmechanismus der Nadeltherapie tatsächlich zu inadäquaten Kontrollinterventionen und damit mutmaßlich zu Verzerrungen älterer Akupunkturstudien geführt haben dürfte. [06]
Im Ergebnis erwies sich die Akupunktur bei verschiedenen Indikationen als hochwirksam. Bei chronischem Schmerz im unteren Rücken etwa zeigten sich im Rahmen einer randomisierten, kontrollierten Studie über 6 Monate beinahe doppelt so große Effekte, wie sie unter der Standardtherapie, die aus Schmerzmittelgaben, Physiotherapie und Sport bestand, beobachtet wurden. [07] Echte Akupunktur unterschied sich jedoch nur geringfügig von Scheinakupunktur. Die GERAC-Studien führten dazu, dass gesetzliche Krankenkassen in Deutschland bei chronischen Schmerzen der Lendenwirbelsäule und bei Kniegelenksarthrose die Kosten für eine Akupunkturbehandlung übernehmen, wenn die Schmerzen seit mindestens 6 Monaten bestehen. [08]
Akupunktur: Wirkmechanismus
Die Grundlagenforschung, welche den Wirkmechanismus der Akupunktur untersucht, ist noch nicht abgeschlossen. Ein Teil der beobachteten Effekte dürfte auf periphere Wirkungen der Nadeln, wie Gewebetraumata mit anschließender Freisetzung bestimmter Botenstoffe, zurückzuführen sein. [09] Ebenfalls bedeutsam scheint die Hemmung von schmerzleitenden Nervenfasern zu sein, die im Wechselspiel zwischen Einstichgebiet und Rückenmark zustande kommt. Insgesamt betonen neuere Studien zunehmend die Wichtigkeit der Signalübertragung im peripheren und zentralen Nervensystem bei den analgetischen Effekten der Akupunktur. Hierbei spielen unter anderem endogene Opioid- und Adenosinrezeptoren eine Rolle. Die Tatsache, dass die Wirkungen der Akupunktur über Monate andauern können, deutet auf langfristige plastische Veränderungen der Schmerzverarbeitung hin. [10]
Akupunktur und die Patient*innensicht
Menschen, die Ärzt*innen mit einer Zusatzqualifikation in TCM aufsuchten, gaben in einer Befragung [11], die in der Schweiz durchgeführt wurde, eine höhere Zufriedenheit mit der Therapie an, als solche, die rein konventionell arbeitende Ärzt*innen in Anspruch nahmen.
Die Akupunkturpatient*innen von 10 Allgemeinarztpraxen berichteten im Rahmen einer 18 Monate dauernden Studie [12] mit Hilfe von Selbsteinschätzungsfragebögen über ihren Gesundheitszustand. Deren Auswertung förderte eine statistisch signifikante und klinisch relevante Verringerung von Schmerzen und Stress, eine Verbesserung der Lebensqualität sowie einen gesenkten Medikamentenverbrauch, insbesondere bei chronischen Krankheitszuständen zutage.
Eine in England durchgeführte Erhebung [13] dokumentierte, dass 90% der Akupunkturverwender*innen sich wegen körperlicher Beschwerden in Behandlung begaben. 75% hiervon berichteten, dass diese sich durch die Therapie deutlich gebessert hätten. Im Verlauf der Studie verschob sich mit der Zeit bei vielen Patient*innen der Hauptgrund für die (weitere) Inanspruchnahme der Akupunktur in Richtung „Allgemeines Gesundheitsgefühl und Wohlbefinden“. 67% der Befragten berichteten eine Veränderung des Lebensstils im Verlauf der Therapie, und emotionale Veränderungen wurden von 83% der Behandelten festgestellt, unabhängig vom ursprünglichen Grund für die Therapie. 58% konstatierten, dass sie die Veränderungen im Wesentlichen auf die Akupunktur zurückführten, und 25% taten dies vollständig.