Lebensqualität von MS-PatientInnen steigern
Veröffentlicht am
Integrative Medizin Wissenschaft
Prof. Dr. Tobias Esch, Universität Witten/Herdecke, evaluiert einen speziell entwickelten Gesundheitsförderungskurs, der Menschen mit MS dabei helfen soll, ihre Selbstwirksamkeit zu erhalten oder zurückzuerlangen. Dr. Joanna Dietzel und Prof. Dr. Benno Brinkhaus, Charité – Universitätsmedizin Berlin, fokussieren sich in Ihrer Studie auf Blasenstörungen als häufiges Symptom der MS. Sie prüfen, ob die elektrische oder manuelle Stimulation von Akupunkturpunkten die Kontrolle über die Harnblasenfunktion wiederherstellen kann.
Multiple Sklerose (MS) ist eine chronische entzündliche Erkrankung des Zentralen Nervensystems, die Hirn und Rückenmark umfasst. Verlauf und Beschwerdebild äußern sich individuell, weshalb MS auch als „Krankheit mit den 1000 Gesichtern“ bekannt ist. (1) Zu den Symptomen zählen unter anderem Fatigue, Schmerzen und Einschränkungen der sogenannten Exekutivfunktionen, die das bewusste Steuern von Denken und Verhalten ermöglichen. (2) Stress kann den Krankheitsverlauf negativ beeinflussen und heilbar ist MS leider nicht. (3) Für PatientInnen ist daher eine Reduktion der Symptome, das Verlangsamen der Krankheitsprogression und insbesondere die Erhaltung der Lebensqualität von enormer Bedeutung. (4) Die Carstens-Stiftung fördert zwei Projekte, die genau hier ansetzen.
Mind-Body-Medizin-basierter Gesundheitsförderungskurs
Einzelne Interventionen der Mind-Body-Medizin haben sich bereits als effektiv für die Behandlung von MS-bedingten Beschwerden erwiesen (5), allerdings konzentrieren sich diese meist nur auf eine Säule der Lebensstilveränderung. Der von Prof. Dr. Tobias Esch entwickelte BERN-Kurs vereint alle Säulen miteinander – kognitive Verhaltensänderung (Behavior), Bewegung (Exercise), Entspannung (Relaxation) und Ernährung (Nutrition). Ziel ist der langfristige Aufbau widerstandsfördernder Ressourcen, die Entwicklung von Resilienz. BERN wird an der Universität Witten/Herdecke bereits für verschiedene Indikationen eingesetzt, nun soll er speziell für MS angepasst und evaluiert werden. Durch sein multimodales Konzept bietet BERN die Möglichkeit, individuelle Bedürfnisse einzubeziehen und erscheint daher in hohem Maße für das Krankheitsbild geeignet.
Berücksichtigung aller Beteiligten
Das Besondere: Die Evaluation wird von Anfang an unter Einbeziehung der PatientInnen, der BehandlerInnen und der Krankenkassen stattfinden. Sogenannte Fokusgruppen-Interviews sollen Aufschluss darüber geben, welche Therapieergebnisse aus PatientInnen- und BehandlerInnen-Perspektive besonders wertvoll sind – wann wäre ein Fortschritt im Umgang mit MS erreicht? Ebenso soll im Dialog mit VertreterInnen von Krankenkassen eruiert werden, welche Aspekte für die Beurteilung einer zukünftigen Kostenübernahme des Kurses wichtig sind. Dies alles wird in die Gestaltung von BERN einfließen.
Randomisiert-kontrollierte Pilotstudie
Anschließend wird eine randomisiert-kontrollierte Pilotstudie prüfen, wie sich die Teilnahme an BERN auf die für PatientInnen, BehandlerInnen und Krankenkassen relevanten Aspekte auswirkt. Geplant sind 60 Teilnehmende, die in zwei Gruppen randomisiert werden. Die Interventionsgruppe nimmt am achtwöchigen BERN-Kurs teil, die passive Kontrollgruppe erhält zunächst die übliche Behandlung und erst nach Ende der Studie Zugang zur Intervention (Wartegruppe). Durchgeführt wird die Studie im ambulanten Setting am Helios Universitätsklinikum Wuppertal. Die Teilnehmenden werden zu drei Zeitpunkten befragt: Zu Beginn der Studie, unmittelbar nach der letzten Sitzung des Kurses und ein letztes Mal drei Monate später. Relevant werden Unterschiede sowohl innerhalb einer Gruppe als auch zwischen den Gruppen sein.
Feedback der PatientInnen
Abschließend sollen Interviews mit Kurs-Teilnehmenden Aufschluss darüber geben, wie sie BERN erlebt haben, auf welche Schwierigkeiten sie stießen und welche Verbesserungen sie sich hinsichtlich des Kurses und der Versorgung generell wünschen.
Das Projekt ist auf zwei Jahre angelegt und wird mit etwa 250.000 EUR gefördert.
Multiple Sklerose
Bewährte Empfehlungen und Anregungen aus der Naturheilkunde und der anthroposophischen Medizin
Bewährte Empfehlungen und Anregungen aus der Naturheilkunde und der anthroposophischen Medizin
Johannes Wilkens · Daniela Hacke
ISBN: 978-3-96562-086-5
Erscheinungsjahr: 2024
6,90 EUR
Zum Shop »TENS-Akupunktur und Akupressur zur Linderung von Blasenstörungen
Blasenstörungen – ständiger Harndrang, häufiges Wasserlassen, unvollständige Blasenentleerung oder Inkontinenz – treten bei der Mehrzahl aller PatientInnen mit MS auf. Die Ursache ist neurologisch. Bei 10% liegen die Blasenstörungen bereits bei Erstdiagnose der MS vor, 75% entwickeln sie in den ersten zehn Jahren der Erkrankung. (6,7) Die Betroffenen leiden nicht nur körperlich, sondern in erheblichem Maße auch psychisch. (8,9) Medikamentöse Therapieversuche können unangenehme Nebenwirkungen verursachen, der Einsatz von Kathetern erhöht das Risiko einer Harnwegsinfektion, und operative Eingriffe stellen nur im Extremfall eine Option dar. Insofern stellt die Blasenstörung ein medizinisch unterversorgtes Symptom dar und nicht-medikamentöse Therapieansätze werden dringend benötigt.
Die Elektrostimulation (TENS) und die Akupressur von Akupunkturpunkten im Unterschenkelbereich könnten solche Ansätze sein. Zwar gibt es bereits Hinweise auf eine Wirksamkeit bei Blasenstörungen, allerdings nur begrenzt (10-13) bzw. nicht im Zusammenhang mit MS. Dr. Joanna Dietzel und Prof. Dr. Benno Brinkhaus möchten diese Forschungslücke schließen.
Explorative randomisiert kontrollierte Studie
Insgesamt 150 Patientinnen werden in die Studie eingeschlossen und in drei Gruppen randomisiert (je 50 Teilnehmerinnen pro Studienarm). Gruppe A nutzt ein TENS-Gerät in der Selbstanwendung zuhause für 20 min. pro Tag über fünf Wochen. Gruppe B führt für 20 min. pro Tag eine Selbstakupressur durch, ebenfalls über fünf Wochen. In beiden Interventionsgruppen ist die Weiterführung einer ggf. bestehenden routinemäßigen Therapie der Blasenstörungen erlaubt. Gruppe C erhält zunächst weiterhin die routinemäßige Versorgung und nach Abschluss der Studie Zugang zu den Interventionen. Nach fünf Wochen und nach zehn Wochen wird die Auswirkung u.a. auf die Harnblasenfunktion, den Harndrang, die Restharnmenge nach dem Wasserlassen und die Lebensqualität erfasst.
Feedback der Patientinnen
Eine Befragung von 14 Teilnehmerinnen zum Erleben der Beschwerden und der Studieninterventionen sowie zum subjektiven Erleben der Auswirkungen ist zudem geplant. Auf diese Weise könnten wichtige Erkenntnisse darüber gewonnen werden, wie TENS und Akupressur sich möglichst niederschwellig als Selbsthilfemaßnahmen etablieren lassen.
Das Projekt ist auf drei Jahre angelegt und wird mit etwa 470.000 EUR gefördert.