Komplementäre und
Integrative Medizin
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Carstens-Stiftung: Placebo-Therapie – ethisch nicht vertretbar?
Studien kurz und knapp

Placebo-Therapie – ethisch nicht vertretbar?

Von Daniela Hacke

Was Patienten darüber denken

Der Gebrauch von Placebos in Forschung und Therapie wird kontrovers diskutiert. Aber fühlen sich Patienten tatsächlich um die „wirkliche“ Therapie betrogen?

Zu der Frage, ob die Verwendung von Placebos (Medikamenten ohne Wirkstoff) im Rahmen einer Therapie ethisch bedenklich ist, wurde schon vieles geschrieben – Positives wie Negatives. Aber nach der Meinung der Patienten zu diesem Thema wurde bisher noch nicht gefragt. Ungarische Wissenschaftler sind dieser Frage jetzt auf den Grund gegangen.

Insgesamt 7500 Personen füllten in einem Zeitraum von fünf Tagen einen Online-Fragebogen aus. 6400 dieser Fragebögen wurden nach dem Ausschluss lückenhafter Fragenkataloge letztendlich ausgewertet. Der Fragebogen enthielt neben Fragen zu persönlichen Daten drei verschiedene Szenarien, zu denen die Befragten sich äußern sollten.

Die Geschichten zeigten grundsätzlich das folgende Schema auf: Die Erkankung des fiktiven Patienten in den Geschichten gilt als besonders prädestiniert für eine Placebo-Behandlung. Es liegen im Rahmen der Erkankung keine organischen Beschwerden vor. Der Patient ist nach der Medikamentengabe durch den Arzt beschwerdefrei. Der Arzt gesteht dem Patienten nach beendeter Behandlung, dass das Medikament keine aktive Substanz enthielt, rechtfertigt die verdeckte Placebogabe allerdings mit den guten Erfahrungen, die er bisher mit diesem Verfahren machen konnte. Zudem versichert er dem Patienten, dass er diese nach erfolgter Behandlung stets über den Charakter der Placebo-Behandlung aufklären würde, unabhängig von dem Erfolg der Therapie. Die befragten Personen sollten unter anderem Fragen beantworten, die das Vertrauen in den behandelnden Arzt hinsichtlich der Placebo-Gabe betreffen. Fragen zu einer vermeintlichen Täuschung durch den Arzt standen im Vordergrund. Außerdem wurde die Frage gestellt, ob es akzeptabel sei, einem Patienten ein Medikament ohne aktive Substanz zu verabreichen, um das Befinden des Patienten zu verbessern.

Die Auswertung führte zu einer interessanten Erkenntnis: Offensichtlich ist den Patienten die Wirksamkeit einer Therapie wichtiger als ethische Bedenken hinsichtlich der Täuschung bzgl. der Medikamentengabe. Besonders die männlichen Befragten sahen kein Problem in einer verdeckten Placebogabe, im Gegenteil, die Irreführung hinsichtlich der Information über das verschriebene Medikament beurteilten die meisten als ein für den therapeutischen Effekt notwendigen Aspekt. Auch das Vertrauen zum Arzt bleibt offensichtlich durch die Tatsache der nach abgeschlossener Placebotherapie erfolgten Aufklärung des Patienten erhalten.

Einschätzung:
Offensichtlich scheinen Patienten hinsichtlich der Gabe von Placebomedikamenten im Rahmen einer Therapie pragmatischer zu denken als die Ethiker unter den medizinischen Fachleuten.

Dabei spielten ebenfalls abgefragte Details wie die Tendenz des Patienten zu einer ganzheitlichen Sicht von Gesundheit und Krankheit, zu komplementärmedizinischen Verfahren und einem veranlagten Optimismus nur eine marginale Rolle hinsichtlich des ethischen Standpunkts.

Allerdings kommt es aber wohl darauf an, bei welcher Erkrankung die verdeckte Placebotherapie angewandt wird. Die Patienten tolerierten diese mehr im Fall von Schlaflosigkeit als bei Reizdarmsyndrom oder Rückenschmerzen. Faktoren wie die Symptomatik einer Erkrankung und der Charakter des behandelten Patienten scheinen also für die Befragten eine große Rolle hinsichtlich der potenziellen Wirksamkeit eines Placebomedikaments zu spielen.

Der imaginäre Charakter der fingierten Geschichten, zu denen sich die Befragten äußern sollten, bildet jedoch eine der Schwächen dieser Erhebung. Aufgrund der möglichen Unterscheidung von realen Situationen sind die erhaltenen Antworten mit Vorsicht zu genießen.


Literatur zu »Placebo-Therapie – ethisch nicht vertretbar?«

Köteles F, Ferentzi E. Ethical aspects of clinical placebo use: what do laypeople think? Eval Health Prof 2012 (DOI: 10.1177/0163278712453993) Abstract