Komplementäre und
Integrative Medizin
Zum Hauptinhalt springen Zum Seiten-Footer springen
Carstens-Stiftung: Natürliches Dreigespann gegen den Bauchschmerz bei Babys
Studien kurz und knapp

Natürliches Dreigespann gegen den Bauchschmerz bei Babys

Von Daniela Hacke M.A.

Pädiatrie Phytotherapie

In Kombination lindern Kamille, Zitronenmelisse und ein probiotisches Bakterium Dreimonatskoliken besser als der Standardwirkstoff Simeticon.

Infantile Koliken, im Volksmund oft auch als Dreimonatskoliken bezeichnet, treten bei schätzungsweise 20 Prozent der Säuglinge in den ersten vier Lebensmonaten auf. Die betroffenen Neugeborenen werden durch krampfartige, starke Bauchschmerzen geplagt, deren Ursachen bis dato immer noch nicht hinreichend geklärt sind. Nicht nur die kleinen Patienten haben zu leiden, auch die Gesundheit der Eltern wird in Mitleidenschaft gezogen, bedingt durch erhöhten Schlafmangel und psychischer Anspannung aufgrund teils stundenlangen nächtlichen Schreiens ihres Nachwuchses.

Obwohl weder Wirksamkeit noch Wirkmechanismus im Rahmen klinischer Studien bisher ausreichend dokumentiert sind, werden Medikamente mit dem Wirkstoff Simeticon weitverbreitet in der Behandlung kindlicher Koliken eingesetzt. Pflanzliche Extrakte wie z.B. aus der Echten Kamille (Matricariae chamomilla) und der Zitronenmelisse (Melissa officinalis) sowie Milchsäurebakterien wie z.B. das in probiotischen Zubereitungen verwendete Lactobacillus acidophilus zeigten bereits in Laborversuchen und teils auch in klinischen Studien vielversprechende Effekte hinsichtlich der Regulierung gastrointestinaler Funktionsstörungen. Auf dieser Basis gingen italienische Wissenschaftler nun der Frage nach, ob eine Kombination aus standardisierten Kamille- und Zitronenmelisse-Extrakten sowie dem probiotisch wirksamen Milchsäurebakterium Lactobacillus acidophilus (HA122) dem Standardwirkstoff Simeticon überlegen ist.

Für die Studie wurde das Lactobakterium mittels Tyndallisationsverfahren keimreduziert, um potenzielle gesundheitliche Risiken durch die Gabe lebender Bakterien an die Kleinstkinder auszuschließen. Jedoch verblieben bei der Hitzebehandlung über eine Stunde bei 70 Grad Celsius ausreichend probiotische Kulturen in dem verwendeten Präparat, die wirksam werden könnten. In die multizentrische Studie, die an pädiatrischen Gastroenterologiezentren in drei verschiedenen italienischen Städten durchgeführt wurde, wurden insgesamt 180 Säuglinge in einem Alter zwischen zwei Wochen und vier Monaten eingeschlossen. Dabei spielte es keine Rolle, ob die Neugeborenen gestillt oder mit Formula-Säuglingsnahrung ernährt wurden. Die Aufteilung der Säuglinge auf die Verum- und Kontrollgruppen erfolgte nach dem Zufallsprinzip. Über einen Zeitraum von 28 Tagen erhielten die kleinen Probanden entweder zwei Mal täglich einen Milliliter einer Lösung aus einem standardisierten Extrakt aus Echter Kamille, Zitronenmelisse und tyndallisiertem Lactobacillus acidophilus-Bakterium (Gruppe A), fünf Tropfen einer Öldispension aus dem keimreduzierten Lactobacillus acidophilus-Milchsäurebakterium in einer Verdünnung von 108 Einheiten pro Gramm (Gruppe B) oder 15 Tropfen Simeticon, entsprechend einer Dosis von 60 Milligramm pro Gabe (Gruppe C). Den primären Endpunkt der Studie bildete die durchschnittliche tägliche Schreizeit der Säuglinge in Minuten, die von den Eltern mittels eines Tagebuchs dokumentiert wurde. Als sekundären Zielpunkt werteten die Wissenschaftler die Ansprechquote der Probanden auf die Therapie, die sie als 50-prozentige Reduzierung des durchschnittlichen täglichen Schreiens am Tag 28 der Studie im Vergleich zu Studienbeginn definierten. Zudem wurden von den Eltern Details wie die Häufigkeit kolikartiger Anfälle, die Anzahl und Beschaffenheit der Stuhlgänge sowie eintretende unerwünschte Effekte notiert. Jeweils an den Tagen 7, 14, 21 und 28 erschienen die Eltern mit ihren Säuglingen zwecks Kontrolluntersuchung in den jeweiligen Studienzentren.

Die Analyse nach Studienende, in die 176 Säuglinge inkludiert wurden, ergab, dass die kleinen Probanden in der Verum- und in der Lactobacillus-acidophilus-Gruppe nach 28 Tagen im Vergleich mit der Simeticon-Gruppe signifikant weniger schrien. Ein Unterschied zwischen Gruppe A und B war jedoch nicht festzustellen, obwohl die Pflanzen-Lactobacillus-Kombination verglichen mit Simeticon bereits am siebten Tag eine signifikant bessere Wirkung zeigte, während das Lactobacillus-acidophilus-Präparat erst nach 14 Tagen eine deutliche Überlegenheit zu Simeticon zeigte. Im Mittel reduzierte sich die tägliche Schreidauer im Vergleich mit der Simeticon-Gruppe in der Guppe A um 44 Minuten mehr, in Gruppe C indes um 35 Minuten mehr, während der mittlere Unterschied zwischen Gruppe A und B nur 9 Minuten betrug. Die Art der Säuglingsernährung hatte keinerlei Einfluss auf dieses Ergebnis. Hinsichtlich der durch die Eltern dokumentierten zusätzlichen Daten wie Stuhlfrequenz und -beschaffenheit unterschieden sich die Ergebnisse zwischen den einzelnen Gruppen nicht. In keiner der drei Gruppen wurden Nebenwirkungen der jeweiligen Intervention beobachtet, was für die gute Verträglichkeit aller drei Medikationen insbesondere bei so kleinen Patienten wie Säuglingen spricht. Die Ansprechquote lag bei 95 Prozent in Gruppe A, 86 Prozent in Gruppe B und 68 Prozent in Gruppe C.
 

Einschätzung

Das Studienergebnis belegt zwar eindeutig die Überlegenheit des Kombinationspräparates aus pflanzlichen und probiotischen Komponenten gegenüber dem Standardwirkstoff Simeticon, lässt jedoch die Frage unbeantwortet, welche nachvollziehbaren Vorteile es gegenüber der alleinigen Gabe des in dieser Studie verwendeten Milchsäurebakteriums Lactobacillus acidophilus aufzuweisen hat. Hinsichtlich des Wirkmechanismus vermuten die Wissenschaftler, dass die antispasmodischen und sedativen Effekte beider im Präparat enthaltenen pflanzlichen Komponenten, Echte Kamille und Zitronenmelisse, auf synergetischer Ebene maßgeblich an dem erzielten Ergebnis beteiligt seien. Insbesondere die antispasmodische Aktivität der Inhaltsstoffe beider Arzneipflanzen spielt in der Regulation der Darmfunktion eine wesentliche Rolle, so konstatieren die Wissenschaftler. Leider lässt sich diese Vermutung nicht durch objektive Messdaten stützen, denn erhoben wurden lediglich subjektive Einschätzungen seitens der Eltern, die mitunter fehleranfällig und überdies nicht überprüfbar sind. Zudem könnte man bei zwei der Studienautoren Befangenheit vermuten, da sie als Sachverständige Verbindungen zu den Herstellern des Kombipräparats hatten bzw. haben. Angeblich seien die in der Studie verwendeten Präparate jedoch nicht vom Hersteller zur Verfügung gestellt worden, nicht ganz auszuschließen sind etwaige Beeinflussungen durch den Hersteller jedoch nicht.

Zukünftige Studien sollten unter Einbeziehung objektiver Messdaten von eindeutig unabhängigen Wissenschaftlern durchgeführt werden, um letzte Zweifel hinsichtlich Wirkungsweise und Überlegenheit zu anderen Maßnahmen, wie einer ausschließlichen Behandlung mit Probiotika, auszuräumen.

Literatur

1) Martinelli M, Ummarino D, Giugliano FP, Sciorio E, Tortora C, Bruzzese D, De Giovanni D., Rutigliano I, Valenti S, Romano C, Campanozzi A, Miele E, Staiano A. Efficacy of a standardized extract of Matricariae chamomilla L., Mellissa officinalis L. and tyndallized Lactobacillus acidophilus (HA122) in infantile colic: an open randomized controlled trial. Neurogastroenterol Motility 2017; e13145 Abstract