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OptiDem: Dr. Jennifer Scheel über Risiko- und Schutzfaktoren und Umgang mit Betroffenen
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OptiDem: Dr. Jennifer Scheel über Risiko- und Schutzfaktoren und Umgang mit Betroffenen

Von Redaktion Carstens-Stiftung

Demenz

Dank der Beiträge der Fördermitglieder von Natur und Medizin e.V. konnte die Carstens-Stiftung über drei Jahre ein Projekt zu Optimierungsstrategien bei Demenz (OptiDem) realisieren.

Drei Fragen sollten dabei schwerpunktmäßig beantwortet werden: Wie kann man das Risiko minimieren, an Demenz zu erkranken? Welche nicht-medikamentösen Therapien sind sinnvoll? Was funktioniert gut und was weniger gut in der Versorgung von Menschen mit Demenz?

Zentraler Bestandteil von OptiDem war ein Graduiertenkolleg, in dem 11 Doktorandinnen und Doktoranden die international verfügbare Literatur zu wichtigen Themen bei Demenz wissenschaftlich analysiert haben. Dr. Jennifer Scheel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Erlangen, fasst Erkenntnisse aus den Arbeiten zusammen.

Was verstehen Sie unter veränderbaren Risiko- und Schutzfaktoren für Demenz?

Für Demenzen gibt es zum einen nicht veränderbare Risikofaktoren (wie beispielsweise Alter und genetische Faktoren) und zum anderen veränderbare Risiko- bzw. Schutzfaktoren. Regelmäßige körperliche, geistige und soziale Aktivitäten schützen vor Demenz. Auch mit einer gesunden Ernährung (beispielsweise der sogenannten "mediterranen Ernährung") und durch den Verzicht auf Alkohol und Tabak kann das Demenzrisiko gesenkt werden. Außerdem sollte man sogenannte vaskuläre Risikofaktoren (wie beispielsweise Bluthochdruck, Übergewicht und Diabetes), schlafbezogene und depressive Störungen behandeln lassen.
Allerdings ist bisher noch keine Vorgehensweise bekannt, mit der Demenz sicher verhindert werden könnte. Besonders vorteilhaft scheinen Präventionsmaßnahmen mit mehreren Komponenten zu sein.

Welche nicht-pharmakologischen Behandlungsmöglichkeiten des Demenzsyndroms sind besonders vielversprechend?

Zur Behandlung des Demenzsyndroms können nicht-pharmakologische Maßnahmen gut eingesetzt werden. Die Behandlung bewirkt zwar keine Heilung, aber Fähigkeiten können länger erhalten werden beziehungsweise kann ihr Abbau hinausgezögert werden.

Demenz

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Naturheilverfahren und Ordnungstherapie – Vorbeugung, Linderung von Symptomen und Steigerung der Lebensqualität

Annette Kerckhoff · Johannes Wilkens

ISBN: 978-3-945150-95-5
Erscheinungsjahr: 2018, 2. Aufl.

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Wissenschaftlich fundiert sind körperliches Training, kognitive Stimulation, Musiktherapie und (bei Bedarf und noch ausreichenden geistigen Fähigkeiten) Psychotherapie zur emotionalen Stabilisierung zu empfehlen. Aufgrund fehlender wissenschaftlicher Fundierung kann die Omega-3-Supplementierung nicht evidenzbasiert empfohlen werden. Allerdings ist sie in therapeutischer Dosierung und unter Aufsicht auch nicht mit unerwünschten Wirkungen verbunden. Wissenschaftlich fundiert abzuraten ist von Lichttherapie, da es hierzu Befunde gibt, dass sich Unruhezustände verschlechtern können.
Außerdem sollten bewährte nicht-pharmakologische Maßnahmen nicht nur einzeln durchgeführt werden, sondern auch gebündelt in Mehrkomponentenmaßnahmen. Mehrkomponentenmaßnahmen können eine stärkere Wirkung erzielen als die einzelnen Maßnahmen, besonders die Kombination körperlicher und geistiger Maßnahmen scheint vielversprechend. Oft besteht bei Menschen mit Demenz eine wenig anregende Umwelt, beispielsweise, weil die Betroffenen nicht mehr in der Lage sind, aktivierende Umgebungen aufzusuchen, oder sich zurückziehen. Daher ist eine Wiederherstellung der "Normalität der Anregung" wichtig, beispielsweise durch anregende Aktivitäten, die die verbliebenen geistigen, alltagspraktischen und sozialen Fähigkeiten angemessen fordern und fördern und dazu führen, dass diese erhalten bleiben.

Was ist speziell im Umgang mit alleinlebenden Menschen mit Demenz und Menschen mit Demenz im Krankenhaus zu beachten?

Alleinlebende Menschen mit Demenz
Viele Menschen möchten auch mit Demenz so lange wie möglich selbstbestimmt in ihrer vertrauten Wohnumgebung bleiben. Die Chancen des Alleinlebens liegen in der Wahrung von Autonomie, Selbstbestimmung, subjektiver Sicherheit, Identitätserleben und hierdurch einer höheren Lebensqualität. Die Risiken des Alleinlebens liegen allgemein in der Verringerung sozialer Kontakte, psychischen Problemen, Problemen in der täglichen Versorgung, schlechterem Zugang zu gesundheitlicher Versorgung und Sicherheitsproblemen. Das Alleinleben ist dann nicht mehr möglich, wenn eine Selbst- und/oder Fremdgefährdung nicht mehr ausgeschlossen werden kann oder der bestehende Betreuungs- und Pflegebedarf nicht mehr durch pflegende Angehörige und/oder mit den verfügbaren ambulanten Unterstützungsangeboten ausreichend gewährleistet werden kann. Voraussetzungen für ein gelingendes Alleinleben sind ein aufmerksames alltägliches Umfeld, ein offener Umgang mit der Krankheit, ein Unterstützungsnetz und Möglichkeiten zur Teilhabe am sozialen Leben.    
Wichtige praktische Implikationen sind vor allem die Entwicklung aufsuchender und individualisierbarer Angebote für alleinlebende Menschen mit Demenz und deren nicht-professionell pflegenden Bezugspersonen sowie die Sensibilisierung der Gesamtbevölkerung für Demenz.

Menschen mit Demenz im Krankenhaus
Etwa 13-63% der älteren Krankenhauspatienten haben eine Demenz. Eine Demenz ist mit einem höheren Risiko für ein Delir  und unbehandelte Schmerzen verbunden. Im Krankenhausalltag hochrelevante Konsequenzen von Demenz, die von Delir und unbehandeltem Schmerz weiter verstärkt werden, sind verhaltensbezogene psychische Symptome (beispielsweise Unruhezustände). Diese Symptome vergrößern Pflegekosten, Pflegebelastung und psychische Belastung aller beteiligten Personen (Menschen mit Demenz, Krankenhauspersonal, Angehörige). Bei der spezifischen Qualifizierung des Personals, der sozialen Betreuung von Menschen mit Demenz und ihren Angehörigen sowie der Umgebungsgestaltung bestehen in den meisten Krankenhäusern Defizite. Die Umsetzung von Maßnahmen aus den Bereichen (a) Edukation und Training, (b) Prozessoptimierung, ©soziale Betreuung und Einbezug von Angehörigen und (d) demenzsensible Umgebungsgestaltung ist notwendig, um das Versorgungssystem Krankenhaus stärker an die Bedarfe und Bedürfnisse von Menschen mit Demenz anzupassen.

Dr. Jennifer Scheel

ist Psychologin und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung des Universitätsklinikums Erlangen. Sie forscht zu den Themen Demenz, Schmerz und psychosozialen Aspekten nach Organtransplantation.