Der Europäische Rat der Wissenschaftsakademien und die Homöopathie
Analyse der Empfehlungen des EASAC aus Sicht der evidenzbasierten Medizin
Das EASAC (European Academies' Science Advisory Council) befasst sich in einem Dokument vom 20.09.17 mit dem Thema Homöopathie. Die Autoren versuchen, Empfehlungen für Entscheidungsträger im Gesundheitssystem auf europäischer Ebene zu formulieren. Als methodische Grundlage empfehlen sie hierbei einen wissenschaftlichen Zugang im Sinne der Evidenzbasierten Medizin. Die Kernthesen des Papiers lauten: Es existieren keine glaubwürdigen Nachweise dafür, dass Homöopathie ein wirksames Behandlungsverfahren ist. Eventuell vorhandene Therapieeffekte lassen sich ausnahmslos durch Placebowirkungen erklären. Homöopathie ist gefährlich, weil Patienten es versäumen könnten, mutmaßlich wirksamere medizinische Interventionen in Anspruch zu nehmen. Aus diesen Prämissen, die laut EASAC auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen, werden weitreichende Empfehlungen zum Umgang mit der Homöopathie auf regulatorischer Ebene abgeleitet.
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Auf welchen Studien basieren die Empfehlungen des EASAC?
Das EASAC nennt in seiner Stellungnahme hauptsächlich diverse Meinungsbeiträge ohne wissenschaftlichen Anspruch als Grundlage seiner Argumentation. Als wesentliche Quellen, die das Gutachterverfahren einer Fachzeitschrift oder zumindest einen ähnlichen Prozess zur Qualitätssicherung durchlaufen haben, lassen sich drei Publikationen ausmachen:
1. UK House of Commons Science and Technology Committee: Evidence Check 2: Homeopathy
Zur Begutachtung kamen im Rahmen dieses Berichts für die englische Regierung lediglich 5 systematische Übersichtsarbeiten. Die Schlussfolgerung, Homöopathie habe keine über Placeboeffekte hinausgehende Wirkungen, beruht auf nur einer dieser Arbeiten, die zudem gravierende methodische Mängel aufweist. Die übrigen 4 Meta-Analysen kontrollierter Homöopathiestudien präsentieren anderslautende Resultate, fanden aber keine Berücksichtigung. Das englische Gesundheitsministerium verwarf den Bericht als unzureichend.
2. Shang et al. (2005): Are the clinical effects of homoeopathy placebo effects?
Die einzige Meta-Analyse welche keinen Unterschied zwischen potenzierten Arzneimitteln und Placebo fand, wertete lediglich 8 von 110 Studien aus. Shang und Kollegen zogen als Kriterium für die Datenauswahl die Studiengröße bzw. die Streuung heran, obwohl dies keinem wissenschaftlichen Standardverfahren entspricht. Für die 21 qualitativ hochwertigen Arbeiten ergab sich auch in dieser Übersichtsarbeit ein signifikanter Vorteil der Homöopathie gegenüber Placebo.
3. Optum: Effectiveness of Homeopathy for Clinical Conditions
Bei dieser im Auftrag des australischen National Health and Medical Research Council (NHMRC) erstellten Übersichtsarbeit wurden 176 Studien in die Analyse eingeschlossen. 171 dieser Arbeiten wurden jedoch als unzuverlässig klassifiziert und in den Ergebnissen nicht berücksichtigt. Für die Datenselektion stützten sich die Forscher auf das Kriterium, dass nur Studien mit mindestens 150 Teilnehmern als zuverlässig gelten. Diese Einschränkung ist aus methodisch wissenschaftlicher Sicht nicht nachvollziehbar. Sie wird daher auch in keiner anderen medizinischen Übersichtsarbeit angewandt. Existierende Reviews der in diesem Zusammenhang maßgeblichen Cochrane-Collaboration berücksichtigen zum Beispiel Studien ab einer Teilnehmerzahl von 20. Auch das NHMRC führt selbst Studien mit weniger als 150 Teilnehmern durch.
Cochrane-Review mit Mindestteilnehmerzahl 20
Beispiele für Studien des NHMRC mit weniger als 150 Teilnehmern
Welche Forschungsergebnisse wurden vom EASAC nicht berücksichtigt?
1. Versorgungsforschung zur Homöopathie
Daten aus Beobachtungs- bzw. Outcomestudien, die sich am klinischen Praxiseinsatz orientieren, belegen in Bezug auf verschiedenste Krankheitsgebiete relativ einheitlich:
2246Patienten, die sich homöopathisch behandeln lassen, erleben klinisch relevante Verbesserungen ihrer Symptome sowie einen Zugewinn an Lebensqualität. Die Effekte sind im Vergleich zur konventionellen Therapie regelmäßig mindestens genauso groß. Es treten jedoch signifikant weniger Nebenwirkungen auf. Auch Patienten, die durch konventionelle Behandlungen keine hinreichende Besserung erfahren haben, profitieren durch die Homöopathie. Ärzte mit homöopathischer Zusatzausbildung verordnen häufig ca. 50% weniger synthetische Arzneimittel, zum Beispiel Antibiotika, nicht-steroidale Antirheumatika und Psychopharmaka.
Die Gesamterkenntnislage aus Studien mit unterschiedlichem Design dokumentiert, dass die Homöopathie ein besonders sicheres und nebenwirkungsarmes Therapieverfahren ist. Erhebungen zeigen, dass die Grenzen der Behandlungsmethode den Anwendern in der Regel deutlich bewusst sind.
Überblick zur Versorgungsforschung zur Homöopathie
Übersichtsarbeit zur Kosteneffektivität der Homöopathie
Wissenschaftliche Befunde zur Sicherheit homöopathischer Arzneimittel
Studie zu Infektionen der oberen Atemwege
Studie zu muskuloskelettalen Erkrankungen
2. Meta-Analysen randomisierter, placebokontrollierter Doppelblindstudien
Vier von fünf indikationsunabhängigen Übersichtsarbeiten mit statistischer Gesamtauswertung dokumentieren eine signifikante Überlegenheit potenzierter Arzneimittel gegenüber Placebo. Dies gilt jeweils auch für die Gruppe der methodisch hochwertigen Studien. Es besteht kein linearer Negativzusammenhang zwischen Studienqualität und Effektstärke (je besser die Studie, desto geringer die Wirkung der Homöopathie), der nicht auch in Bezug auf konventionelle Therapieverfahren beobachtet würde. Auch die aktuellste Übersichtsarbeit zu placebokontrollierten Studien individualisierter Homöopathie belegt eine Überlegenheit potenzierter Arzneimittel auf allen Stufen der methodischen Qualität:
Das Gesamtergebnis von Meta-Analysen aller vorliegenden RCTs zur Homöopathie fällt nur dann negativ aus (Homöopathie = Placebo), wenn der größte Teil (90-95 %) der vorliegenden Daten von der Auswertung ausgeschlossen wird und/oder fragwürdige statistische Methoden angewandt werden. Hierbei werden jeweils Maßnahmen ergriffen, die nicht den üblichen wissenschaftlichen Standards entsprechen.
Überblick zu Meta-Analysen in der klinischen Homöopathieforschung
Studienqualität und Effektstärke
Ideologie in Übersichtsarbeiten zur klinischen Homöopathieforschung
3. Grundlagenforschung zur Homöopathie
Das EASAC macht in seiner Stellungnahme geltend, dass eine Wirkung (hoch)potenzierter Arzneimittel aus naturwissenschaftlicher Sicht unplausibel sei. Tatsächlich konnte das Wirkprinzip ultramolekularer Verdünnungen, wie sie in der Homöopathie Anwendung finden, bislang nicht abschließend aufgeklärt werden. Es existieren aber mehr als 1000 fachwissenschaftliche Publikationen zur Grundlagenforschung in der Homöopathie. In den zugrundeliegenden Experimenten kommen physikalische Untersuchungsmethoden (UV-Spektroskopie, NMR etc.), Mikroorganismen, pflanzliche Bioassays (Wasserlinsen, Weizenkeimlinge u.a.) sowie unterschiedliche Tierspezies zum Einsatz. Eine große Anzahl von methodisch hochwertigen Studien beobachtete Wirkungen potenzierter Arzneien jenseits der Avogadro-Grenze. Für mehrere experimentelle Modelle konnten in unabhängigen Replikationen signifikante Effekte potenzierter Präparate festgestellt werden. Eine Ablehnung der Homöopathie aus rein theoretischen Plausibilitätserwägungen verkennt somit die empirische Evidenz, welche aus der Laborforschung mit potenzierten Substanzen vorliegt.
Einschätzung
Der Stand der Homöopathieforschung findet in der Stellungnahme des Europäischen Rats der Wissenschaftsakademien keine angemessene Berücksichtigung: Die wesentlichen Resultate aus der Versorgungsforschung zur Homöopathie sowie die maßgeblichen Übersichtsarbeiten kontrollierter Studien werden nicht erwähnt. Stattdessen erfolgt eine selektive Referenzierung von Quellen, die methodische Unstimmigkeiten aufweisen. Die weitreichenden Forderungen, die das EASAC aufstellt, lassen sich nicht aus der vorliegenden wissenschaftlichen Evidenz zur Homöopathie ableiten.