Komplementäre und
Integrative Medizin
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Studien zur Wirksamkeit bei Migräne, Kopfschmerz, rheumatoider Arthritis und chronischen Darmerkrankungen.
Gesundheitstipps kompakt

Ayurveda ‒ die Studienlage

Von Prof. Andreas Michalsen

Ayurveda Magen-Darm Migräne Rheuma

Studien zur Wirksamkeit bei Migräne, Kopfschmerz, rheumatoider Arthritis und chronischen Darmerkrankungen.

Trotz der Vereinnahmung durch die "Wellness"-Bewegung entspricht das ayurvedische Therapienkonzept den modernen und wissenschaftlich gesicherten Vorstellungen zur Krankheitsprävention.

Das Krankheitsverständnis und der Therapieansatz im Ayurveda basieren, ähnlich wie in anderen ethnomedizinischen traditionellen Systemen, auf einer schematisierten Krankheitslehre unter wesentlicher Berücksichtigung der individuellen Konstitution und der konsekutiven Zuordnung des Krankheitszustandes in ein phänomenologisch zu erfassendes Syndrom.

In Indien hatte der Ayurveda seine Blütezeit bis zur muslimischen Invasion im 12. Jahrhundert. Einen weiteren Niedergang erlebte die ayurvedische Medizin während der britischen Kolonisation, insbesondere mit der Schließung der ayurvedischen Schulen 1833. 1946 erfolgte durch Regierungserlass die Rehabilitation des Ayurveda als offizielles, allerdings sekundäres medizinisches Versorgungssystem in Indien. Inzwischen gibt es eine Vielzahl von universitären und klinischen ayurvedischen Einrichtungen, v.a. im Süden Indiens mit über 150 „Undergraduate“ und über 30 „Postgraduate“ Colleges.

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Sabine Geisler · Syal Kumar

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Erscheinungsjahr: 2016, 2. Aufl.

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Die Doshas als unterschiedliche Grund-Typologien

Für das Krankheitsverständnis im Ayurveda ist die Konstitutionslehre wesentlich. Hierbei spricht man von unterschiedlichen Grund-Typologien, den Doshas. Unterschieden werden in einem metaphorischen Verständnis Vata (Wind, Äther, Pneuma), Pitta (Feuer, Chole), Kapha (Erde, Wasser, Phlegma). Diese Doshas kommen nach ayurvedischer Vorstellung in jedem Organismus vor. Dabei dominieren meist ein oder zwei Doshas, seltener alle drei. Innerhalb der Ayurvedischen Therapie werden, in Abhängigkeit von der vorliegenden Erkrankung und den durch die körperliche Untersuchung und Anamnese zugeordneten Doshas, individuelle Therapiekonzepte konsekutiv umgesetzt.

Die Therapie im Ayurveda sieht als primäre Maßnahme der Prävention und Therapie Empfehlungen zur gesundheitsfördernden Lebensstilmodifikation vor (Bewegung, Ernährung, z.T. Fasten, Entspannung). Hierbei sind auch spirituelle Methoden (Meditation, Askese, Gebet) und Yoga implementiert. Allgemein wird im Ayurveda der Schwerpunkt auf Prävention bzw. Prophylaxe von Erkrankungen gelegt. Krankheiten sollen also primär durch einen gesundheitsfördernden Lebensstil mit geeigneter Ernährung, Abstinenz von Genussgiften, ausreichend Bewegung und Stressreduktion vermieden werden. Damit entspricht das Konzept auch modernen und wissenschaftlich gesicherten Vorstellungen der Krankheitsprävention.

Das Spektrum der ärztlichen Therapie

Die ärztliche Therapie bzw. von Ärzten angeleitete spezifische Therapie umfasst:

  1. Die innerliche Therapie mit Heilpflanzen (Phytotherapie) und Mineralien. Hierbei werden vor allem Vielstoffgemische verordnet, es werden dabei mehr als 1000 Kombinationen eingesetzt.
  2. Reinigungsverfahren, Ausleitende Verfahren (z.B. Aderlass, Purgation, Emesis, Diaphorese)
  3. Manuelle physikalische (externe) Behandlungen, bekannt sind hier vor allem die intensiven, z.T. vierhändigen Massagen mit medikamentiertem Öl, Ölgüsse und manuelle Verfahren unter Berücksichtigung ayurvedischer Krankheitskonzepte (Marmas; Doshas).

Unglücklicherweise wurden in der bisherigen Verbreitung des Ayurveda in Europa und in den USA weniger die differentiellen Vorstellungen und Erfahrungen über die Behandlung von Erkrankungen, sondern vielmehr die unspezifischen, die Befindlichkeit verbessernden Effekte in den Vordergrund gestellt. Insbesondere im Bereich der physikalischen Maßnahmen und Massagen wurde Ayurveda im Zuge der „Wellness“-Bewegung vermarktet. Dies entspricht jedoch keinesfalls dem Stellenwert und dem ursprünglichen Einsatzgebiet in der indischen Medizin. 

Panchakarma Therapie

Für manifeste Erkrankungen, also Zustände, die nicht mehr präventiv anzugehen sind, wird im Ayurveda die Heilkräutertherapie (Phytotherapie) und die komplexe „Panchakarma“-Therapie eingesetzt. Panchakarma besteht hierbei aus einem intensivierten und seriellen Therapieprogramm, das tägliche Massagen, Ernährungsvorschriften und ausleitende bzw. reinigende Verfahren, z.T. auch mit innerer Anwendung von medikamentierten Ölen umfasst:

  • Therapeutische Nasen-Rachen-Augen Reinigungen (Nasya)
  • Einläufe (Vasti)
  • Orales Purgieren (Virechana)
  • Therapeutisches Erbrechen (Vamna)
  • Therapeutischer Aderlass (Rakt-Mokshan)

Im traditionellen „metaphorischen“ Verständnis wird Panchakarma als Entgiftungs- oder Entschlackungstherapie angesehen. Dieses Konzept ist derzeit wissenschaftlich nicht ausreichend zu belegen, wenngleich nicht ausgeschlossen werden kann, dass durch serielle intensive Behandlungen der Körperdecke, verbunden mit diätetischen Maßnahmen, beispielsweise Protein-Stoffwechselendprodukte (z.B. glykosilierte Proteinendprodukte, AGEs) aus dem Gewebe entfernt werden könnten. 

Innerhalb des Ayurveda wird die Panchakarma-Therapie insbesondere als geeignet für die Behandlungen von chronischen Schmerzsyndromen und neurologischen Erkrankungen angesehen.
Zum Verständnis des traditionellen Fundaments des Ayurveda sei hier auch die offizielle Einteilung des Ayurveda vorgestellt, zitiert nach dem Originaltext (online assessed, 25.1. 2008) des Councils for Research in Ayurveda and Siddha. Hiernach ist die Panchakarma Therapie als „Shodana“ einzuordnen:

Types of Treatment
a) Shodhana therapy (Purification Treatment)
b) Shamana therapy (Palliative Treatment)
c) Pathya Vyavastha (Prescription of diet and activity)
d) Nidan Parivarjan (Avoidance of disease causing and aggravating factors)
e) Satvavajaya (Psychotherapy)
f)  Rasayana therapy (use of immunomodulators and rejuvenation edicines)

Shodhana treatment aims at removal of the causative factors of somatic and psychosomatic diseases. The process involves internal and external purification. The usual practices involved are Panchkarma (medically induced Emesis, Purgation, Oil Enema, Decoction enema and Nasal administration of medicines), Pre-panchkarma procedures (external and internal oleation and induced sweating). Panchkarma treatment focuses on metabolic management. It provides needed purificatory effect, besides conferring therapeutic benefits. This treatment is especially helpful in neurological disorders, musculo-skeletal disease conditions, certain vascular or neuro-vascular states, respiratory diseases, metabolic and degenerative disorders.

Der medizinischen Behandlung geht eine spezifisch ayurvedische Diagnostik voraus. Hierbei werden Puls, Zunge, Urin, Stuhlgang, Haut, Augen , Stimme und „Aakriti“ (Körperbau) differentiell beurteilt und in die Syndrom-Diagnostik mit einbezogen. Die Pulsdiagnostik erfolgt, ähnlich der Methode der TCM, an drei Lokalisationen.

Modellprojekt an den Kliniken Essen-Mitte

Ziel war es, einen qualitativ hochwertigen ayurvedischen Behandlungsansatz in die bestehende integrative Medizin zu implementieren und die Wirksamkeit von Ayurveda bei einzelnen ausgewählten Erkrankungen in klinischen Studien zu überprüfen. Hierbei sollten zunächst empirisch als „bewährt“ eingestufte Indikationen wie Migräne, Kopfschmerz, Bluthochdruck, rheumatoide Arthritis und chronische Darmerkrankungen im Vordergrund stehen. Eine weiterführende universitäre Kooperation mit führenden indischen universitären Einrichtungen wurde initiiert. In einer weiteren Zielsetzung sollten die therapeutischen Möglichkeiten des Ayurveda und der TIM synergistisch mit den Methoden der Traditionellen Europäischen Medizin (TEM) und der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) kombiniert und damit die naturheikundlichen Behandlungsoptionen bei chronischen Erkrankungen optimiert werden.

Literatur
Acharya G: Panchakarma. Chaukhamba Sanskrit. Delhi, 2006.
Devaraj TL: The Panchakarma treatment of Ayurveda,4 th. Edition. Chaukhamba. Varanasi, 2006.
Ranade S: Ayurveda – Wesen und Methodik. Haug, Heidelberg 1994.

Ayurveda ist eine der fünf staatlich anerkannten Medizinformen im heutigen Indien, neben konventioneller Medizin, Siddha, Unani (indisch-arabische Medizin) und der Homöopathie. Der Ayurveda ist vermutlich das älteste schriftliche Medizinsystem weltweit. Erste präzise schriftliche Niederlegungen finden sich 2500 v. Chr. und früher. Wörtlich übersetzt bedeutet Ayurveda Lebensweisheit. Der Begriff stammt aus dem indischen Sanskrit und setzt sich aus den Wörtern Ayur (Leben) und Veda (Wissen) zusammen. Man kann ihn auch als Lebenswissenschaft übersetzen. Ayurveda ist eine Kombination aus empirischer Naturlehre und Philosophie.

Prof. Dr. med. Andreas Michalsen

Prof. Dr. med. Andreas Michalsen

Vorstandsvorsitzender der Carstens-Stiftung

Telefon: 0201 56 305 0
E-Mail: info@carstens-stiftung.de