Den Wert der Naturheilkunde vor Augen halten
6 Fragen zur Corona-Pandemie an Prof. Jost Langhorst, Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum am Bruderwald, Sozialstiftung Bamberg.
Wie hat sich Ihr persönlicher Alltag durch die Corona-Pandemie verändert?
Prof. Dr. Jost Langhorst: Die Naturheilkunde ist durch die Corona-Pandemie unmittelbar betroffen insofern, als sie vielerorts deutlich heruntergefahren wird. In unserem Haus der Sozialstiftung Bamberg ist die Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde für die stationäre Versorgung momentan sogar für einen begrenzten Zeitraum geschlossen. Der neue sogenannte 4. Bettenturm in Bamberg, in dem unsere Klinik untergebracht ist, wurde komplett für die Aufnahme von COVID-19-Isolations-Patienten umgestellt, um dem befürchteten großen Ansturm begegnen zu können. Dieser fiel zum Glück jedoch wesentlich geringer aus, als erwartet. Mein Team und ich sind aktuell überall dort eingesetzt, wo zusätzliche Ressourcen gebraucht werden, um die Notfall-Patienten-Versorgung aufrecht zu erhalten. Insbesondere die Pflege ist jetzt sehr gefordert.
Wie bewerten Sie die aktuellen Zahlen zu Infizierten und Todesfällen in Deutschland?
Bislang fallen in der Gesamtstatistik nicht mehr Todesfälle auf, als in den Jahren zuvor – auch wenn natürlich jeder einzelne Todesfall ein Todesfall zu viel ist. Das ist bemerkenswert, denn Frankreich, Spanien, Italien, Großbritannien oder die USA sind ganz anders betroffen als wir in Deutschland. Ich bin beeindruckt, dass wir die Situation im Vergleich mit den anderen großen Industrienationen hier so "gut" hinbekommen.
Wie schätzen Sie die Gefahr möglicher Begleiterscheinungen wie Depressionen oder Ängste durch den "Shutdown" ein?
Angst, das Gefühl des Ausgeliefertseins, Rückzug, Depressionen – ich bin sicher, dass dies alles eine Rolle spielt. Denken Sie z.B. an Patienten mit beginnender Demenz im Seniorenheim, denen man gar nicht im Detail erklären kann, was passiert, die keine gewohnten Abläufe mehr haben, keinen Besuch durch Angehörige usw. Oder denken wir an die Kinder, die in Deutschland nicht in die Schule oder Kita können und ihre Freunde vermissen, in Spanien lange überhaupt nicht nach draußen durften. Das macht etwas mit den Menschen. Und das alles ist nur eine begrenzte Zeit möglich. Die Kunst wird es sein, dies einmal akribisch aufzuarbeiten und daraus Lehren für die Zukunft zu ziehen. Wir beginnen aber in Kürze wieder mit der stationären Versorgung.
Wenn Sie eine Prognose zum Verlauf der Pandemie abgeben müssten – wie sähe diese aus?
Die Situation in Wuhan macht mich vorsichtig zuversichtlich. Dort sind sie uns ja etwa vier Wochen voraus und bisher scheint es so zu sein, dass die Zahl der Patienten in den Krankenhäusern nicht mehr zunimmt.
Meine Hoffnung ist, dass wir in Deutschland keine zweite Infektions-Welle erleben, aber vieles ist noch ungeklärt, z.B. wie die Durchseuchung ist, bei wie vielen Menschen eine stille Feiung stattgefunden hat etc. Das ist nur durch weiteres Testen herauszufinden. Verbindliche und verlässliche Voraussagen sind Stand heute also schwierig, aber ich hoffe, dass wir weiterhin so umsichtig handeln und in absehbarer Zeit wieder ein normaleres Leben möglich ist.
Die eine Herausforderung war es, sich in die momentane Situation hineinzubegeben, eine noch größere wird es werden, jetzt wieder angemessen herauszukommen. Man darf die Maßnahmen nicht unter- aber auch nicht übertreiben. Es ist und bleibt ein Vabanquespiel, bei dem die Politik, die aus meiner Sicht bisher sehr umsichtig agiert hat, keine per se richtigen Entscheidungen treffen, sondern nur den bestmöglichen Kompromiss abwägen kann. Das bringt einfach die Komplexität der Situation mit sich.
Welche Schlüsse lassen sich aus der Corona-Pandemie über unser Gesundheitssystem ziehen – was sollte evtl. in Zukunft verändert werden?
Unser Gesundheitssystem war in Hinblick auf die stationäre Versorgung – dem politischen Willen folgend – eigentlich auf Schrumpfung ausgerichtet. Wären wir zwei Jahre später an den Start gegangen mit Corona hätten wir deutlich weniger Krankenhaus- und Intensivbetten gehabt. Wer weiß, wie es uns dann getroffen hätte. Den aktuellen Stresstest hat unser zur Verfügung stehendes Gesundheitssystem nun erstaunlich gut überstanden, oder ist dabei ihn zu bestehen – es sollte uns aber eine Warnung sein, dass Gesundheit nicht allein betriebswirtschaftlichen Gesetzen unterworfen werden sollte und eine Grundaufgabe des Staates bleiben muss. Wichtig wird eine gründliche Aufarbeitung im Nachhinein sein, um einen Plan für die nächste Pandemie parat zu haben.
Welche Rolle kann und sollte die Komplementärmedizin dabei einnehmen?
Das 21. Jahrhundert ist das Jahrhundert der Naturheilkunde, denn es ist das Jahrhundert der Chronischen Erkrankungen. Gerade hier ist die Naturheilkunde prädestiniert, einen wertvollen Beitrag zu leisten, mit ihrem Füllhorn an komplementären Verfahren, Tertiärprävention und Gesundheitspädagogik.
Die COVID-19-Pandemie zeigt uns aber auch, wie vulnerabel die Naturheilkunde als Teil des Gesundheitssystems ist. In großen Krisenzeiten wie der aktuellen, oder ganz anders geartet auch vor 80 Jahren im zweiten Weltkrieg, geriet die Naturheilkunde immer wieder in die Kritik, wurden naturheilkundliche Kliniken geschlossen. Wir sollten uns den Wert und die Bedeutung der Naturheilkunde immer vor Augen halten und es nicht wieder zu einer solchen Tendenz kommen lassen.
Das Gespräch wurde am 27.04.2020 geführt.
Prof. Dr. med. Jost Langhorst
ist Chefarzt der Klinik für Integrative Medizin und Naturheilkunde am Klinikum am Bruderwald, Sozialstiftung Bamberg, mit 25 stationären Betten und Praxis für Integrative Medizin und Naturheilkunde Stiftungslehrstuhl für Integrative Medizin, Schwerpunkt Translationale Gastroenterologie der Universität-Duisburg-Essen am Klinikum am Bruderwald in Bamberg. Mehr
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