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OptiDem: Chiara Vetter über Telefonberatung für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz
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OptiDem: Chiara Vetter über Telefonberatung für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz

Von Redaktion Carstens-Stiftung

Demenz

Dank der Beiträge der Fördermitglieder von Natur und Medizin e.V. konnte die Carstens-Stiftung über drei Jahre ein Projekt zu Optimierungsstrategien bei Demenz (OptiDem) realisieren.

Drei Fragen sollten dabei schwerpunktmäßig beantwortet werden: Wie kann man das Risiko minimieren, an Demenz zu erkranken? Welche nicht-medikamentösen Therapien sind sinnvoll? Was funktioniert gut und was weniger gut in der Versorgung von Menschen mit Demenz?

Zentraler Bestandteil von OptiDem war ein Graduiertenkolleg, in dem 11 Doktorandinnen und Doktoranden die international verfügbare Literatur zu wichtigen Themen bei Demenz wissenschaftlich analysiert haben. Chiara Vetter ist eine dieser Doktorandinnen am Universitätsklinikum Erlangen und forschte zum Thema "Telefonberatung für pflegende Angehörige von Menschen mit Demenz".

Welche Auswirkungen hat die Demenz eines Familienangehörigen für die pflegenden Angehörigen?

Ein Familienmitglied zu pflegen kann viel Kraft der Angehörigen fordern. Gerade in der Pflege von Menschen mit Demenz ist diese Belastung im Vergleich höher als bei Pflegepersonen ohne kognitive Einschränkungen.
In Deutschland werden circa 80% der Menschen mit Demenz zuhause von ihren Angehörigen betreut. Die Hauptlast der Pflege bleibt somit in den Familien. Es ist eine Herausforderung und kann das Leben der Pflegenden mitunter wesentlich verändern. Dies kann zu seelischen, körperlichen und finanziellen Konsequenzen führen, welche unter anderem sozialen Isolation, verminderte Lebensqualität und erhöhte Sterblichkeit zur Folge haben.
In aller Regel sind pflegende Angehörige zeitlich stark eingespannt, weshalb es schwierig für sie ist sich um zusätzliche Beratung und Fortbildungen zu kümmern.
Oft sind die Pflegenden zusätzlich stark zuhause gebunden und können sich keine weitere Betreuung für den Menschen mit Demenz leisten, um traditionelle Unterstützungsangebote von Angesicht zu Angesicht wahrzunehmen.
Umso wichtiger sind deshalb eine professionelle Betreuung und leicht zugängliche Unterstützungsangebote, wie zum Beispiel in Form von telefon- und medienbasierten Beratungsstellen.

Mithelfen

„Der Arzt und die Ärztin der Zukunft sollen zwei Sprachen sprechen, die der Schulmedizin und die der Naturheilkunde und Homöopathie. Im Einzelfall sollen sie entscheiden können, welche Methode die beste für den Patienten ist.“

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Wie war Ihre Arbeit aufgebaut? Zu welchen Ergebnissen kamen Sie?

In einer systematischen Übersichtsarbeit beschäftigten wir uns mit der Frage, ob eine Telefonberatung depressive Symptome bei pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz verbessern kann.
Es wurden insgesamt 19 randomisiert kontrollierte Studien eingeschlossen. Wir untersuchten diese auf Fragen wie: Welche Faktoren können Einfluss auf Depressionen bei pflegenden Angehörigen haben? Und wie sind die bisherigen Interventionen aufgebaut?
Es zeigten sich große Unterschiede im Aufbau der Interventionen und es wurden unterschiedliche Module erarbeitet, welche in Telefoninterventionen verstärkt verwendet werden.
Am meisten wird Psychoedukation, eine Art der strukturierten und systemischen Wissensvermittlung verwendet, aber auch verschiedene Formen der kognitiven Verhaltensmodifikation werden häufig eingesetzt.
Zusammengefasst können Telefonvermittelte Interventionsformen nachweißlich Depressionen bei pflegenden Angehörigen senken. Verschiedene Module reduzieren die depressiven Symptome der Pflegenden unterschiedlich stark.
Des Weiteren zeigt die aktuelle Studienlage einen Zusammenhang zwischen der Betreuungsdauer, den Anrufkontakten und den positiven Auswirkungen auf Depressionen. Es sind jedoch noch weitere qualitativ hochwertige Studien in diesem Bereich nötig, um die Bedürfnisse der pflegenden Angehörigen ausreichend zu erforschen.

 

An wen können sich Angehörige und Pflegende wenden, wenn Sie Hilfe benötigen?

Laut Pflegeweiterentwicklungsgesetz haben Demenzkranke und ihre pflegenden Angehörigen das Recht, sich von den Pflegekassen umfassend und individuell beraten zu lassen. Jedoch ist das Beratungsangebot für pflegende Angehörige oft unübersichtlich und zusätzlich regional sehr unterschiedlich.
Erster Anlaufpunkt sollte die eigene Pflegeversicherung darstellen, welche Angebote für eine Pflegeberatung bietet. Hausärzte, lokale Beratungsstellen, ambulante Dienste, Tageseinrichtungen, ehrenamtliche Helferinnen und Helfer können ebenfalls unterstützen und entlasten.
In einigen Bundesländern gibt es zu dem bereits sogenannte Pflegestützpunkte, eingerichtet von den Kommunen und Pflegekassen, an welchen Beratung und Unterstützung für Angehörige geboten wird. Dort erhalten Angehörige wichtige Informationen, Antragsformulare und konkrete Hilfestellungen.
Die Beratungsqualität variiert zwischen den professionellen Angeboten und ist für Beratungssuchende schwer selbst einzuschätzen. Hierfür hat das Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP) eine Checkliste mit den wichtigsten Merkmalen guter Beratung erstellt, welche kostenlos erhältlich ist.
Auch per Telefon, wie zum Beispiel über das Alzheimer Telefon, über das Bürgertelefon des Bundesministeriums für Gesundheit oder die Online-Beratung der Caritas kann man sich bereits einfach Unterstützung suchen.
Sich frühzeitig über regionale Hilfen und Beratungen zu informieren, kann verhindern, aus Unwissenheit bestehende Unterstützungsangebote zu verpassen.

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Haben Sie Tipps, wie man einer Depression in einer solchen Belastungszeit am besten entgegenwirkt?

Pflegende Angehörige sind im Durchschnitt häufiger von Depressionen betroffen als die übrige Bevölkerung. An einer Depression zu erkranken ist ein schleichender Prozess und fällt unter den vielfältigen körperlichen und seelischen Belastungen des Pflegealltags oft erst spät auf. Dadurch erlangen Angehörige häufig ein weit fortgeschrittenes Depressionsstadium, so dass sie sich der Pflegesituation zuhause nicht mehr gewachsen fühlen. So steigen die Übertritte in Pflegeheime mit wachsenden depressiven Symptomen. Hier ist es wichtig, sehr aufmerksam zu sein und frühzeitig um Hilfe und Entlastung zu bitten. Ein wesentlicher Aspekt ist die Aufklärung über die Erkrankung, um Warnsymptome rechtzeitig zu erkennen. Anzeichen für Überlastung sind zum Beispiel Muskelverspannungen, Unruhe, Schlafstörungen und Magen-Darm-Beschwerden. Verschiedene Belastungsfragebögen, wie zum Beispiel die Häusliche-Pflege-Skala (HPS), können helfen, seine Grenzen und depressive Symptome schneller zu erkennen, um daraufhin frühzeitig aktiv gegen sie vorzugehen.
Die eigenen Wünsche und Bedürfnisse werden häufig hintenangestellt und die Sorge für sich selbst aus der um den Menschen mit Demenz vergessen. Das Denken und Handeln bezieht sich primär auf die Pflege- und Betreuungsaufgaben, so dass keine Zeit für sich selbst bleibt. Hierbei ist es wichtig, sich aktiv Entlastungen und Freiräume zu schaffen. Kleine Auszeiten, zum Beispiel für Entspannung oder Sport, sollten regelmäßig geschaffen werden. Diese Momente sollten ein fester Bestandteil im Pflegealltag sein, so dass die pflegenden Angehörigen Kraft tanken und ihren eigenen Interessen nachgehen können. Hierbei kann es hilfreich sein, sich Grenzen zu setzen und diese regelmäßig zu reflektieren. Dies kann ein tägliches Pflegepensum, regelmäßige Auszeiten oder soziale Beziehungen betreffen. Solch ein Rahmen kann helfen, einen Überblick über die Pflegesituation zu behalten. Das macht Mut bei Grenzüberschreitungen alternative Lösungen zu suchen, anstatt Probleme einfach so hinzunehmen. Ebenfalls sollte man sich bei Belastungsanzeichen professionellen Rat holen und ärztliche Untersuchungen wahrnehmen. Pflegeberatungen, Pflegekurse sowie Selbsthilfegruppen und Unterstützung von Freunden und Familie sind eine starke Stütze.

Chiara Vetter

ist Doktorandin am Universitätsklinikum Erlangen.