Komplementäre und
Integrative Medizin
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Was kann die Homöopathie bei Suchtkrankheiten?
Studien kurz und knapp

Homöopathie bei Suchtkrankheiten

Von Redaktion Carstens-Stiftung

Homöopathie Sucht Alkohol

Die Homöopathie hat sich insbesondere bei Abhängigkeitserkrankungen als Ergänzung zur konventionellen Behandlung bewährt. Die Abschwächung der Wirkung von homöopathischen Mitteln durch Psychopharmaka ist ein Irrglaube: Unser Modellprojekt „Homöopathie in der Psychiatrie“ am Vivantes Klinikum Spandau.

Einleitung

In diesem Modellprojekt, das von 2005 bis 2008 von der Karl und Veronica Carstens-Stiftung gefördert wurde, sind insbesondere Patienten mit Abhängigkeitserkrankungen im stationären und ambulanten Setting homöopathisch behandelt worden.

Projektleiter war Dr. Otto Ziehaus, als Supervisor engagierte sich Dr. med. Martin Klieme, Facharzt für Allgemeinmedizien, Psychotherapie, Klassische Homöopathie, Berlin, der sowohl im ambulanten als auch stationären Suchtbereich tätig ist.

Patienten und Mittelspektrum

Es wurden 72 Patienten im Alter zwischen 21 und 74 Jahren behandelt. Die Geschlechterverteilung von zwölf weiblichen und 60 männlichen Patienten bildete die typische Situation im Suchtbereich ab [3]. Neben 44 chronischen Behandlungen wurden 28 Akutbehandlungen durchgeführt. Es wurden dabei 34 verschiedene homöopathische Einzelmittel nach den Grundsätzen der klassischen Homöopathie verordnet (Tabelle 1).

Zum Einsatz kamen gängige Mittel. Insbesondere fällt die häufige Anwendung von Arsenicum album und Lycopodium clavatum auf. Das Mittelbild von Arsenicum beinhaltet die typischen Symptome des akuten Alkoholentzugssyndroms mit ängstlicher Unruhe, Tremor und Schwäche, so dass es in dieser Situation oftmals erfolgreich eingesetzt werden konnte. Der Lycopodium-Patient offenbart eine narzisstisch-depressive Struktur [1], die in vielen Fällen bei chronisch-alkoholkranken Menschen vorhanden ist, und somit die häufige Anwendung verständlich macht [4].

Arzneimittel Verordnungen Arzneimittel Verordnungen
Aconitum 3 Iris versicolor 1
Apis 1 Kalium carbonicum 1
Arnica 3 Kalium bromatum 1
Arsenicum12 Lachesis 3
Aurum 1 Lilium tigrinum 1
Aqua marina 1 Ledum 2
Barium carbonicum 2Lycopodium10
Belladonna 5 Medorrhinum 1
Bryonia alba 3 Mercurius 1
Calcium arsenicosum 1 Nux vomica 5
Carcinosinum 1 Phosphor 3
Chamomilla 2 Sepia 1
Colocynthis 1 Silicea 1
Conium 2 Staphisagria 4
Hyoscyamos 2 Sulphur 1
Igantia 2 Stramonium 2
Ipecacuanha 1 Veratrum album 1
Tabelle 1: Mittelspektrum  

Diagnosen

Bei den akuten Behandlungen fand sich ein breites Spektrum an Diagnosen. Dies spiegelte den Stationsalltag einer akuten Entzugsstation wider. Vor der inhaltlichen Umstrukturierung der Klinik im Suchtbereich wurden die Entzugsbehandlungen im geschlossenen Setting durchgeführt. Im Jahre 2006 wurden so über 900 Patienten behandelt, die weitgehend ohne Aufnahmekriterien aufgenommen wurden. Der Schweregrad der Abhängigkeitserkrankungen und der psychischen und physischen Komorbiditäten ist daher überwiegend als hoch einzustufen und das Strukturniveau der Patienten als eher niedrig.

Bei Hämatomen, Abszessspaltungen, Gehirnerschütterungen und alkoholischer Polyneuropathie war die Anwendung der angeführten Arzneimittel von erheblichem Erfolg gekennzeichnet. Im akuten Alkoholentzug konnte mit Hilfe von Arsenicum bzw. anderen angezeigten Arzneien (teilweise auch mit dem vorbekannten „Konstitutionsmittel“) der Entzug entweder ohne weitere zusätzliche medikamentöse Behandlung erfolgen oder die Entzugsphase bzw. die Erholungsphase deutlich verkürzt werden. Insbesondere die Verabreichung von Arsenicum, Nux vomica und Belladonna war auch in hochakuten, prädeliranten Zustandsbildern oder schweren Unruhezuständen von erstaunlicher Wirksamkeit (Tabelle 2).

DiagnosenArzneimittel
AlkoholentzugArsenicum, Belladonna, Ignatia, Lachesis, Nux vomica, Phosphor3
AbszessspaltungStaphisagria
ArzneimittelexanthemBelladonna
BronchitisBelladonna
Comotio cerebriArnica
DelirBelladonna, Hyoscyamos, Stramonium
DiarrhoeArsenicum
ErregungszustandArnica
EmesisChamomilla
Grippaler InfektBryonia
HämatomeLedum
DarmkolikColocynthis, Ipecacuanha
LymphangitisApis
PneumonieBryonia
PorphyrieNux vomica
PolyneuropathieCoinum
SpeichelsteinSilicea
StimmbandentzündungLachesis, Staphisagria
TonsilitisAconitum
Tabelle 2: Diagnosen aktuter Behandlungen mit Arzneimittel

Alle Patienten wurden routinemäßig nach der standardisierten Alkoholentzugssyndrom-Skala engmaschig überwacht. Im Normalfall wurde bei Bedarf meist Clomethiazol zur Linderung der Entzugsbeschwerden verabreicht.

Der Schwerpunkt des Projektes lag in der Behandlung von chronisch suchtkranken Patienten, insbesondere alkoholkranken Patienten. Es wurden 29 Patienten mit der Hauptdiagnose Alkoholkrankheit (ICD10: F10.2), sieben Patienten mit einer polytoxikomanen Suchterkrankung, d.h. eine Abhängigkeit von mindestens zwei Substanzen, und vier Patienten mit Doppeldiagnosen (neben der Abhängigkeitserkrankung eine weitere psychiatrische Diagnose) behandelt (Tabelle 3).

DiagnosennArzneimittel
Alkoholkrankheit29verschiedene
Alkohol, Clomethiazol7-
Alkohol, BenzodiazepineArsenicum
Opiate, KokainArsenicum
Alkohol, BenzodiazepineArsenicum
Alkohol, Benzodiazepine, OpiateBelladonna
Alkohol, Opiate, CannabisBarium carbonicum
Alkohol, BenzodiazepineLilium tigrinum
Doppeldiagnosen4-
Borderline-Störung, AlkoholLachesis
Borderline-Störung, AlkoholPulsatilla
Zwangs- und motorische Ticstörung, AlkoholKalium bromatum, Carcinosinum
schizoaffektive Störung, Opiate, Benzodiazepine, CannabisHyoscyamos
Paranoide Schizophrenie1Veratrum album
Hebephrenie1Stramonium
Depression1Iris versicolor
Panikstörung1Arsenicum
Persönlichkeitsakzentuierung1Mercurius
Tabelle 3: Diagnosen chronischer Behandlungen, n: Anzahl der Patienten 

Ergebnisse

Die Patienten mit Doppeldiagnosen und Polytoxikomanie gehörten zu den am schwersten Erkrankten der Klinik. Bei einem Teil wurden dennoch unter der homöopathischen Begleittherapie unerwartete Stabilisierungen erreicht. So bei einer Patientin, die sich aufgrund eines polyvalenten und anhaltenden deliranten Entzugssyndroms auf dem Boden einer Borderline-Persönlichkeitsstörung vier Monate in stationärer Behandlung befand. Begleitend zur herkömmlichen kombinierten antidepressiven, neuroleptischen und stimmungsstabilisierenden Behandlung, wurde eine homöopathische Behandlung mit Lachesis (Q-Potenz) begonnen. Hierunter erfolgte eine psychopathologische Stabilisierung mit Rückgang der psychotischen Symptomatik (Reizoffenheit, Derealisation, Größenideen) sowie Stabilisierung der allgemeinen kognitiven Funktionen (Aufmerksamkeit, Konzentration, Gedächtnis), so dass eine Entlassung in die häusliche Umgebung und eine berufliche Wiedereingliederung begonnen werden konnte. Bei einer weiteren Gruppe von Patienten konnte zumindest eine vorübergehende Stabilisierung erreicht werden. Vor allem bei der Patientengruppe der mehrfach Abhängigen war oftmals die mangelnde Compliance ein limitierender Faktor für eine erfolgreiche Behandlung.

Bei Patienten mit der Hauptdiagnose Alkoholkrankheit erreichten 16 von 27 Patienten (59 %) mit einem durchschnittlichen Lebensalter von 43 Jahren, einer durchschnittlichen Erkrankungszeit von 13 Jahren und durchschnittlich 11,7 stationären Entzügen eine gute Stabilisierung, d.h. sie waren maximal einmal rückfällig. Es ergibt sich somit eine durchschnittliche Abstinenzzeit von 14,5 Monaten bei insgesamt fünf Rückfällen (Tabelle 4).

AbstinenzrateAlterErkrankungszeitEntzügeAbstinenzzeit
59%43 J.13 Jahre11,714,5 Monate
Tabelle 1: Eckdaten der 16 abstinenten Patienten

Im Vergleich dazu werden in der Literatur für Acamprosat nach zwölf Monaten noch 48% der Patienten als abstinent verzeichnet [5] und bei der als Goldstandard angesehenen Behandlung der Alkoholkrankheit mit Hilfe einer stationären Entwöhnungsbehandlung über zwölf Wochen liegen die Abstinenzraten nach vier oder mehr Jahren bei 25 bis 45% [2].

Fallbericht

Zur Verdeutlichung der Vorgehensweise soll noch ein Fall vorgestellt werden. Ein 46jähriger Patient ist seit mehr als 20 Jahren alkoholkrank. Im Vorfeld gab es mehrere stationäre Aufnahmen mit ausgeprägten aggressiven Impulsdurchbrüchen in der Aufnahmesituation. Im stationären Setting zeigte sich eine massive unterschwellige Aggressivität, die psychopharmakologisch kaum zu beeinflussen war. Nur Benzodiazepine vermochten den Patienten zu beruhigen. Das Verhalten auf Station war durch Misstrauen und Rückzug mit Angst vor Impulskontrollverlust gekennzeichnet. Aufgrund der Gesamtkonstellation (Aggressivität, Selbstverletzung, Gesichtsröte, weite Pupillen) war Belladonna als Arzneimittel indiziert. Nach einer Gabe Belladonna C30 war noch am Tag der Einnahme eine deutliche Abnahme der Aggressivität und Unruhe angegeben worden. Drei Wochen danach war eine Gabe von Belladonna C1000 nötig, da erneut aggressive Impulse auftraten, die noch am selben Tag sistierten. Im Verlaufe des Aufenthaltes wurden die Psychopharmaka ausgeschlichen, und es war eine zunehmende Teilnahme am Stationsalltag möglich. Die Entlassung erfolgte in eine sozialtherapeutische Langzeiteinrichtung, die der Patient nach einem Jahr wieder verlassen hat. Seither lebt er wieder in einer eigenen Wohnung. Entweder über telefonische oder (seltene) persönliche Konsultationen wurde im Bedarfsfall Belladonna in verschiedenen Potenzen verordnet. Seit mehr als zwei Jahren besteht Alkoholabstinenz.

Autoren

Dr. Otto Ziehaus1 und Dr. Martin Klieme2

1 Vivantes Klinikum Spandau, Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik, Neue Bergstraße 6, 13585 Berlin

2 Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapie, Klassische Homöopathie, Babelsberger Straße 11, 10715 Berlin

Das Projekt am Vivantes Krankenhaus in Zahlen

Projektleitung:
> Dr. Otto Ziehaus

Forschungsschwerpunkt:
> Homöopathie

Studienzeitraum:
> 2005 - 2008

Fördersumme:
> 11.720 Euro

Einschätzung

Die Anwendung homöopathischer Arzneimittel im psychiatrischen Bereich und insbesondere bei Abhängigkeitserkrankungen hat sich als Ergänzung zur konventionellen Behandlung in der Regelversorgung bewährt. Das kombinierte Vorgehen, d.h. der Einsatz sowohl konventioneller als auch homöopathischer Medikamente je nach Situation ermöglichte die Behandlung schwer kranker Patienten.

Häufig wird eine Abschwächung der Wirkung von homöopathischen Mitteln durch Psychopharmaka angenommen. In den meisten Fällen konnte hier trotz psychopharmakologischer Komedikation eine Wirkung beobachtet werden.

Es bestand bzgl. der homöopathischen Behandlung einerseits eine große Offenheit der Patienten, andererseits auch eine hohe subjektive Patientenzufriedenheit.

In den nächsten Jahren werden die Langzeitbeobachtung der bisher behandelten Patienten sowie die zunehmende Behandlung von depressiven und schizophrenen Patienten mehr an Bedeutung gewinnen.

Empfohlener Link

Homepage des Vivantes Klinikums in Berlin Spandau

Literatur zu "Homöopathie bei Suchtkrankheiten"

1. Elendt D. Psychodynamik homöopathischer Arzneimittelbilder, Books on Demand, 2004.

2. Feuerlein W. Treatment for alcoholics in German speaking countries, British Journal for Addiction, 85 (3): 353–356, 1990. Abstract

3. Jahrbuch Sucht 07, Deutsche Hauptstelle für Sucht e.V., Neuland, 2007.

4. Rost W-D. Psychoanalyse des Alkoholismus, Klett-Cotta, 2001.

5. Saß H, Soyka M, Mann K, Ziegelgänsberger W. Relapse prevention by acamprosate. Results from a placebo-controlled study on alcohol depend-ence. Archieves of General Psychiatry, 53 (8): 673–680, 1996. > Abstract