Komplementäre und
Integrative Medizin
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Carstens-Stiftung: Ein starkes Team in der Palliativmedizin durch Achtsamkeit und Mitgefühl
Studien kurz und knapp

Ein starkes Team in der Palliativmedizin durch Achtsamkeit und Mitgefühl

In einer Pilotstudie wurden Machbarkeit und Wirksamkeit eines neu entwickelten "On the job"-Trainings mit Mitarbeitern einer Palliativstation getestet.

Die Arbeit in der Palliativmedizin ist mit hohen Herausforderungen an alle Mitarbeiter – Ärzte, Pflegepersonal, Physiotherapeuten, Psychologen, Sozialarbeiter und auch Verwaltungsangestellte – verbunden. Zusätzlich zu den arbeits- und organisationsbedingten Faktoren erhöhen emotionale Herausforderungen, bedingt durch die Arbeit mit Menschen in der Endphase ihres Lebens, die Stressbelastung. Psychische Erkrankungen wie Burnout oder Posttraumatische Belastungsstörungen, aber auch eine gefühlsmäßige Abstumpfung gegenüber dem Leid der Patienten können infolgedessen auftreten. Eine gute Palliativarbeit erfordert die Fähigkeit zu einer Gratwanderung zwischen Mitgefühl und professioneller Distanz zu den betreuten Patienten. Verschiedene buddhistische Meditationsübungen zielen darauf ab, den gegenwärtigen Moment ohne Beurteilung wahrzunehmen (Achtsamkeitsmeditation), allen Menschen mit liebevoller Güte zu begegnen (Metta-Meditation) und selbst sehr schwierigen Situationen teilnahmsvoll und mit Mitgefühl zu begegnen (Tong-len-Meditation).

In der vorliegenden Beobachtungsstudie untersuchten deutsche Wissenschaftler, inwieweit ein eigens aus den drei genannten Meditationstechniken entwickeltes Trainingsprogramm die Resilienz des Personals einer Palliativstation erhöhen und ihre Stressbelastung senken kann. Über einen Zeitraum von 10 Wochen konnten die Mitarbeiter an ihrer Arbeitsstätte zunächst an einer zweistündigen Einführung und anschließend einmal wöchentlich an einem Tag an vertiefenden Trainingsstunden teilnehmen, während derer sie dazu angehalten wurden, erlernte kurze Meditationseinheiten in ihren Arbeitsalltag einzubauen. Unterstützend hierzu wurden in den Personalräumen der Pflegestation Poster mit Sätzen der Metta-Mediation angebracht. Des Weiteren erhielten die Studienteilnehmer eine Meditations-CD für den häuslichen Gebrauch. Unter Einsatz verschiedener etablierter Fragebögen wurden vor und nach dem 2 ½ - monatigen Übungsprogramm folgende Parameter erfasst: emotionale Erschöpfung, Depersonalisierung, Leistungsfähigkeit, stressabhängige Sorgen, Anspannung und Freude, Angst, Depression, somatische Beschwerden, emotionale Regulation sowie Zufriedenheit, Auslastung und Freude im Arbeitsalltag.

Ein sogenanntes Goal Attainment Scaling, bei dem die zu Beginn durch das Meditations-Programm erwarteten Veränderungen nach dessen Ende hinsichtlich ihres tatsächlichen Eintretens eingestuft werden, sowie qualitative Interviews mit jedem einzelnen Teilnehmer wurden ergänzend durchgeführt. Als objektiver Messparameter für eine Stressbelastung wurde der Cortisolspiegel im Speichel der Probanden analysiert. 28 von 33 Mitarbeitern (= 85 %) nahmen das Angebot zur Teilnahme am Trainingsprogramm an, von denen 26 regelmäßig die Übungen durchführten und die Abschlussbefragung ausfüllten. Zu Studienbeginn wiesen die Probanden hinsichtlich Burnout, Angst und Depression eine relativ schwache Belastung auf. Dennoch lagen die Werte für Angst und emotionale Erschöpfung (Teil der Burnout-Messung) sowie die Stressbelastung nach den 10 Übungswochen signifikant niedriger, die persönliche Leistungsfähigkeit, Zufriedenheit sowie die Freude an der Arbeit wurden hingegen höher eingestuft. Signifikant höher lagen ebenfalls die Werte für Resilienz (psychische Widerstandsfähigkeit) und Wahrnehmung als Variablen der emotionalen Regulation. 85 % der individuellen Erwartungen wurden erreicht, wobei das Ziel der Selbstfürsorge die höchsten, die Optimierung der Arbeitsroutinen die niedrigsten Werte erreichte. Die gemessenen Cortisolwerte in den Speichelproben veränderten sich nur unwesentlich.

Die Auswertung der qualitativen Interviews ergab, dass sich die Teilnehmer hinsichtlich der Selbstfürsorge gestärkt fühlten. Das Trainingsprogramm half ihnen, kurze Achtsamkeitspausen in den Arbeitsalltag, insbesondere in anstrengenden Situationen, einzufügen. Sie grübelten seltener und dachten in ihrer Freizeit weniger über die Arbeit nach. Einige Mitarbeiter konstatierten eine Verbesserung der Fähigkeit zu zwischenmenschlichen Kontakten und damit eine verbesserte Kommunikation sowie ein geringeres Konfliktpotential innerhalb des Palliativteams. Die überwiegende Zahl der Studienteilnehmer erklärte von dem Programm profitiert zu haben. Sie  würden es anderen Teams empfehlen. 96 % wollten auch nach Beendigung der Studie die Übungen fortsetzen.

Einschätzung

Bei der vorliegenden Studie handelt es sich um ein Pilotprojekt, das gewisse damit verbundene Schwächen aufweist. So fehlt eine Kontrollgruppe, die Probandenzahl ist relativ gering, ebenso ist der Studienzeitraum recht kurz. Dennoch liefert die Arbeit mit ihrem gemischten Methodenansatz relevante Ergebnisse, auf die weitere Untersuchungen aufbauen können.

Ein „On-the-job“-Meditationsprogramm in einer Palliativeinrichtung ist offenbar organisatorisch machbar. Der damit verbundene zeitliche und finanzielle Aufwand kann sich durchaus lohnen, denn eine Verbesserung der seelischen Verfassung der einzelnen Mitarbeiter verringert das Risiko krankheitsbedingter Ausfälle. Ebenso kann sowohl die individuelle Leistungsfähigkeit, als auch die Effektivität des Gesamtteams durch eine Verbesserung der Kommunikation und Verringerung von Konflikten erhöht werden. Und nicht zuletzt profitieren die Patienten von einer entspannten und gleichzeitig effektiven Betreuung.

Literatur

Orellana-Rios CL, Radbruch L, Kern M, Regel YU, Anton A, Sinclair S, Schmidt S. Mindfulness and compassion-oriented practices at work reduce distress and enhance self-care of palliative care teams: a mixed-method evaluation of an „on the job“ program. BMC Palliative Care 2017; 17(1): 3. Abstract