Komplementäre und
Integrative Medizin
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Carstens-Stiftung: Der Placeboeffekt in randomisierten Therapiestudien der klassischen Homöopathie
Integrative Medizin: News

Der Placeboeffekt in randomisierten Therapiestudien der klassischen Homöopathie

Von Redaktion Carstens-Stiftung

Komplementärmedizin Homöopathie

Treten in Studien der klassischen Homöopathie tatsächlich größere Placeboeffekte auf als in Studien der konventionellen Medizin? In Bezug auf die Homöopathie untersucht diese Studie das von Professor Harald Walach aufgestellte "Wirksamkeitsparadox in der Komplementärmedizin".

Ausgangspunkt des durchgeführten systematischen Reviews war die Überprüfung des von Walach postulierten „Wirksamkeitsparadox in der Komplementärmedizin“ am Beispiel der klassischen Homöopathie. Diese Hypothese geht davon aus, dass in RCTs komplementärmedizinischer Verfahren besonders große Placeboeffekte auftreten und daher in diesen Studien eine signifikante Überlegenheit des geprüften Verums per se unwahrscheinlicher ist als in vergleichbaren Studien der konventionellen Medizin. So könnte z.B. ein klassisch homöopathisch verschriebenes Arzneimittel einem konventionellen Medikament klinisch überlegen sein, im Gegensatz zu diesem aber in RCTs unwirksam erscheinen.

Unter Berücksichtigung des aufwendigen individuellen Behandlungskonzeptes der klassischen Homöopathie scheint es plausibel, dass neben rein arzneilichen Wirkungen eine Vielzahl von Effekten auf den Behandelten wirken könnten. Welche Effekte wirken und was diese im Einzelnen bedingt, so zeigte eine im Rahmen dieser Arbeit durchgeführte Literaturrecherche, ist bislang wissenschaftlich unzureichend erforscht und wird im Allgemeinen allzu vereinfachend unter dem Begriff des Placeboeffekts subsumiert. Es kommt hinzu, dass die gängigen Definitionen dieses sogenannten Placeboeffekts keinen erklärenden Charakter besitzen und sogar in sich unstimmig erscheinen. 

Homöopathie aus Sicht der Carstens-Stiftung
Homöopathie aus Sicht der Carstens-Stiftung
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Fragestellung und Methodik

Ziel dieser Studie ist es, die oben genannte Hypothese von Walach für den Fall der klassischen Homöopathie zu belegen bzw. zu widerlegen, d.h. zu untersuchen, ob in randomisierten, placebokontrollierten Studien zur Wirksamkeit klassisch verordneter homöopathischer Arzneimittel größere Placeboeffekte beobachtet wurden als in vergleichbaren Studien der konventionellen Medizin.

Studien, die die Placeboeffekte von homöopathischer und konventioneller Therapie direkt miteinander vergleichen, sind bisher nicht bekannt. Daher sollen die Ergebnisse der Placebogruppe aus bereits publizierten Studien zur klassischen Homöopathie systematisch mit passenden (gematchten) Studienergebnissen aus der konventionellen Medizin verglichen werden.

Im Wesentlichen ist es nicht das Ziel dieser Arbeit, die Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit homöopathischer Therapien zu untersuchen, sondern die Relevanz der oben genannten Hypothese für die geführte Wirksamkeitsdiskussion. Bei Bestätigung bzw. Widerlegung der Hypothese werden dementsprechend die Konsequenzen kurz diskutiert.

Zur Überprüfung der oben angesprochenen Hypothese wurde ein systematischer Vergleich der Placeboeffekte in RCTs der klassischen Homöopathie und konventionellen Medizin durchgeführt. Dies geschah in Form eines Eins-zu-drei-Matchings. Zunächst wurden alle publizierten RCTs zur klassischen Homöopathie (N=35) gesammelt und in ihrem Design analysiert. Anschließend wurden zu jeder Studie drei möglichst ähnliche konventionelle Studien gesucht und dieser gegenübergestellt. Es entstanden hierbei insgesamt 25 Matching-Bündel – zehn Homöopathiestudien mussten aufgrund ihrer Studien-/Publikationsqualität oder einer unzureichenden Zahl passender konventioneller Studien ausgeschlossen werden.

Zur Beantwortung der Frage, ob in Studien der klassischen Homöopathie tatsächlich größere Placeboeffekte auftreten als in Studien der konventionellen Medizin, wurden in der Primäranalyse erstens die Häufigkeit eines kleineren Placeboeffektes in der konventionellen Medizin (ordinale Analyse) und zweitens die tatsächlichen Größenunterschiede zwischen den erzielten Placeboeffekten aus Studien der klassischen Homöopathie und konventionellen Medizin (Abstandsanalyse) bestimmt und ihre Signifikanz (einseitiger Gauß- bzw. t-Test, Signifikanzniveau: α<0,025) statistisch verifiziert.
Zusätzlich wurde eine Sekundäranalyse durchgeführt, um einerseits eine Überprüfung der Ergebnisse der Primäranalyse an Subgruppen besonders guter Qualität (Qualität der einzelnen 90 Studien und Qualität des Matchings) zu ermöglichen und andererseits, um zur weiteren Identifizierung von Stellgrößen des noch unzureichend definierten Placeboeffektes zu dienen. 

Ergebnisse

Entgegen der Hypothese konnte kein statistisch signifikanter Beleg für ihre Richtigkeit gefunden werden. Weder in der Primäranalyse (Gauß-Test: p=0,5312; t-Test: p=0,5425) noch in einer der Subgruppenanalysen (Gauß-Test: p>0,0680; t-Test: p>0,1754) erreichten die Unterschiede zwischen den Placeboeffekten von Therapiestudien der klassischen Homöopathie und konventionellen Medizin statistische Signifikanz. Die noch deutlichsten Unterschiede im Sinne eines größeren Placeboeffektes in Studien der klassischen Homöopathie wurden in folgenden Subgruppen vorgefunden: Studien an Erwachsenen (Gauß-Test: p=0,2579; t-Test: p=0,1778), an Patienten mit chronischen Erkrankungen (Gauß-Test: p=0,1824; t-Test: p=0,2962), im Zielkriterium Schmerz (Gauß-Test:p=0,2899; t-Test: p=0,2832), in Studien niedrigerer Publikations- bzw. Studienqualität (drei Punkte im Jadad-Score: Gauß-Test: p=0,6547; t-Test: p=0,4267 bzw. vier Punkte im Jadad-Score: Gauß-Test: p=0,0680; t-Test: p=0,1754) und in Studienbündeln besonders guter Matching-Qualität (Gauß-Test: p=0,3284; t-Test: p=0,4533).

Die oben genannten Subgruppen könnten sich durch spezifische Eigenschaften (Stellgrößen) auszeichnen, welche einen besonders großen Placeboeffekt in der klassischen Homöopathie bedingen. Aufgrund der geringen Studienzahlen und nicht signifikanten Ergebnisse bleiben dies allerdings Vermutungen. 

Schlussfolgerungen

Insgesamt ist damit festzuhalten, dass die erhaltenen Untersuchungsergebnisse des hier vorgelegten systematischen Reviews gute Hinweise dafür liefern, dass die von Walach vorgetragene Hypothese vom „Wirksamkeitsparadox in der Komplementärmedizin“ zumindest am Beispiel der klassischen Homöopathie nicht zu belegen ist. Die Untersuchungsergebnisse können den Umstand eines unzureichenden Wirksamkeitsnachweises der klassischen Homöopathie in placebokontrollierten RCTs nicht klären.

Da die klassische Homöopathie ein in ihrer Nachfrage und Bedeutung seit vielen Jahren in der ärztlichen Praxis national und international zunehmendes komplementäres Therapieverfahren darstellt, ist eine Klärung der Wirksamkeitsfrage weiterhin dringend erforderlich. Ähnlicher Klärungsbedarf scheint jedoch auch im Hinblick auf das offensichtlich noch zu unkritisch verwendete Placebokonzept zu bestehen. Neben einer differenzierteren Nomenklatur bezüglich nichtpharmakologischer Therapieeffekte wäre auch mehr Klarheit über deren praktischen Nutzen in Forschung (RCTs) und Praxis wünschenswert.

Autor
Tobias Nuhn, ehemaliger Doktorand der Carstens-Stiftung
Promotion an der Medizinischen Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 2010
Doktorvater: Univ.-Prof. Dr. Max Geraedts

Literatur

Lüdtke, R. , Nuhn, T.; Geraedts, M.: Placebo effects in homeopathic and conventional drugs, in: International Society for Complementary Medicine Research (ICCMR): ICCMR 2010. 5th International Congress on Complementary Medicine Research., Tromso, Norwegen: Eigenverlag, 2010: S. 35

Walach H. Das Wirksamkeitsparadox in der Komplementärmedizin. Forschende Komplementärmedizin und Klassische Naturheilkunde 2001;8:193-195 Abstract

Nuhn, T., Ludtke, R.; Geraedts, M.: Placebo effect sizes in homeopathic compared to conventional drugs, A systematic review of randomised controlled trials. Homeopathy 99(1), 2010: S. 76-82 Abstract