Komplementäre und
Integrative Medizin
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Carstens-Stiftung: Ausleitende Therapieverfahren: Das Cantharidenpflaster
Gesundheitstipps kompakt

Ausleitende Therapieverfahren: Das Cantharidenpflaster

Von Redaktion Carstens-Stiftung

Rheuma

Das Cantharidenpflaster gehört zu den ausleitenden Therapieverfahren – genau wie das trockene oder blutige Schröpfen, das Baunscheidt-Verfahren, der Aderlass oder die Blutegeltherapie. In der modernen Naturheilpraxis spielen diese Therapieverfahren wieder eine wichtige Rolle. Im Gegensatz zu Blutegel, Aderlass und Schröpfen ist das Cantharidenpflaster allerdings etwas in Vergessenheit geraten. Ganz zu Unrecht, denn der wichtigste Inhaltsstoff dieses Pflasters, das Cantharidin, kann z.T. zu enormen Symptomverbesserungen führen.

Zum Hintergrund

Entgiften, Entschlacken, Entsäuern, Reizen und Regulieren – das sind populäre Schlagworte im Zusammenhang mit "ausleitenden Verfahren". Unter diesem Begriff werden all jene Verfahren gefasst, die bildlich gesprochen Ablagerungen, Schlacken, Stoffwechselprodukte und Giftstoffe im Organismus mobilisieren und zur Ausscheidung bringen, daher sind sie auch als so genannte "Reinigungsverfahren" bekannt. Generell besitzen diese Therapien bei bestimmten Indikationen ein großes therapeutisches Potential, das zunehmend wiederentdeckt und inzwischen vermehrt durch klinische Studien belegt wird.

Rheuma

Rheuma

Naturheilkundliche Behandlung von Rheuma-Patienten, Anregung der Selbstheilungskräfte und Ratschläge zur Selbsthilfe

Karen Hoffschulte · Thomas Rampp

ISBN: 978-3-945150-84-9
Erscheinungsjahr: 2018, 3. Aufl.

6,90 EUR

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Historische Grundlage der ausleitenden Verfahren ist die Lehre der Humoralpathologie, oder auch Säftelehre genannt. Diese verstand Krankheit als eine Störung in der Balance der Körpersäfte Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle. Werden diese vier Säfte in richtiger Weise gemischt, sprach man von Eukrasie, von Gesundheit, andernfalls von Dyskrasie, Krankheit. Einer der bedeutendsten Vertreter der Humoralpathologie war der bekannte Arzt und Wissenschaftler Hippokrates (460–320 v. Chr.). Nachdem die Medizintheorie der Humoralpathologie durch die moderne Medizin abgelöst worden war, gerieten auch diese Verfahren in Vergessenheit. Sie wurden erst von dem Gynäkologen und Neurophysiologen Bernhard Aschner (1883–1960) wiederentdeckt. Ausleitende Verfahren kommen heute vor allem in der naturheilkundlich orientierten Schmerzbehandlung, bei orthopädischen Krankheiten und zur Beeinflussung des Immunsystems zum Einsatz. Sie werden in der Regel mit anderen Therapien der Naturheilkunde kombiniert. Die Wirkmechanismen der einzelnen Verfahren sind komplex und bis heute nicht vollständig geklärt. Gemeinsam ist diesen Verfahren, dass sie als unspezifische Reiztherapien die Selbstheilungsmechanismen des Körpers anregen.

Natürliches Schmerzmittel

Das Cantharidenpflaster ist ein natürliches und stark wirksames Schmerzmittel, das jedoch von nur wenigen Naturheilkundlern heute noch eingesetzt wird. Dabei ist der Wirkstoff Cantharidin ein aus der Spanischen Fliege gewonnenes natürliches Arzneimittel, das eine sehr stark hautreizende Wirkung besitzt.

Der Grundgedanke dieser Therapie wird sehr schön durch ein Zitat von Paracelsus verdeutlicht, der sinngemäß sagte:

Wo die Natur Schmerzen erzeugt, deutet sie an, dass sie schädliche Stoffe ausleeren will.

Paracelsus (1493/4–1541) maß dem Cantharidenpflaster insbesondere bei verschiedenen Schmerzzuständen eine große Bedeutung bei. Seiner Meinung nach entstehen Schmerzen überall da, wo der Körper schädliche Stoffe ausscheiden möchte. Die Ausleitung des Schmerzes und seiner Botenstoffe soll mit dem Cantharidenpflaster unterstützt werden.

So funktioniert das Pflaster

Das Cantharidenpflaster wird direkt auf die Haut des Patienten geklebt. Die vom Cantharidin hervorgerufene Reizwirkung (so genannte Cantharidin-Akantholyse) bewirkt eine Blasenbildung innerhalb der Oberhaut. Im entsprechenden Bereich kommt es zu einer anschließenden Mehrdurchblutung und einem erhöhten Stoffwechsel. Der Patient spürt die Blasenbildung durch ein leichtes Brennen und Ziehen auf der Haut, gegen den Brennschmerz kann ggf. ein Schmerzmittel verabreicht werden. Danach sollte das Pflaster noch einige Zeit kleben bleiben, insgesamt 12–16 Stunden je nach Hauttyp. (Bei empfindlichen Patienten, vor allem bei Menschen mit roten oder blonden Haaren, tritt die Blasenbildung früher ein als bei dunkelhäutigeren Menschen.) Die unter der Haut entstandene Blase wird steril punktiert und mittels trockenem Verband – später auch mit einem Salbenverband – durch den Therapeuten weiterbehandelt.

Wie wirkt das Pflaster?

Durch die Hautreizung und die verstärkte Durchblutung sowie die Aktivität des Lymphsystems werden potentielle Schadstoffe, Schmerzbotenstoffe und Stoffwechselprodukte aus dem Gewebe abgeleitet und gleichzeitig vermehrt Nährstoffe herantransportiert. Dadurch sollen Giftstoffe ausgeschieden und das Immunsystem und Reparaturmechanismen aktiviert werden. Zudem regt der Wirkstoff Cantharidin in therapeutischen Dosen sowohl das Nerven- als auch das Kreislaufsystem an, was eine schmerzstillende und krampflösende Wirkung im behandelten und umgebenden Körpergebiet zur Folge hat. Auch Blockaden können auf diese Weise wieder in den natürlichen Fluss kommen.

Das Cantharidenpflaster wird wegen seines starken Effektes auf das Lymphsystem auch "weißer Aderlass" genannt. Es zieht mit Schmerzmediatoren, Toxinen und freien Radikalen belastete Gewebsflüssigkeit heraus und regt über eine Sogwirkung den gesamten Lymphkreislauf kräftig an.

Anwendungsgebiete

Das Cantharidenpflaster verfügt über ein breites Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten. Bewährt hat es sich in der Praxis vor allem zur lokalen Schmerztherapie bei chronifizierten und degenerativen Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen sowie nicht operationsbedürftigen Bandscheibenleiden. Cantharidenpflaster sind nur mit einem individuell für den jeweiligen Patienten ausgestellten Privatrezept erhältlich. In Deutschland gibt es übrigens nur noch eine Apotheke, die die Pflaster als Individualrezeptur herstellt.

Wirksamkeitsnachweise
Die Literatur enthält viele Hinweise zur Behandlung degenerativer Gelenkerkrankungen mit dem Cantharidenpflaster. Die schmerzlindernde Wirkung von Cantharidenpflaster bei lumbaler Spinalkanalstenose, d.h., chronische Schmerzen des unteren Rückens mit eingeschränkter Gehstrecke (so genannter "Claudicatio spinalis"), konnte in einer ersten kontrollierten Studie nachgewiesen werden. Bei den teilnehmenden Patienten zeigte sich eine ausgeprägte Beschwerdebesserung im Beobachtungszeitraum von zwei Wochen im Vergleich zur konventionellen Standardtherapie mit Schmerzmitteln. Die langfristige Wirksamkeit des Pflasters bei diesen und weiteren bewährten Indikationen muss in weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen überprüft werden.

Wer darf das Pflaster nicht anwenden?

Das Cantharidenpflaster darf nicht angewendet werden bei Allergien auf Behandlungsmaterialien, lokalen Hauterkrankungen, akut entzündlichen Gelenken, ausgeprägter arterieller Durchblutungsstörung, Schwangerschaft, Niereninsuffizienz und Entzündungen der ableitenden Harnwege.

Nach der Anwendung des Pflasters kann auf der behandelten Hautfläche für einige Zeit eine etwas dunklere Pigmentierung zurückbleiben, die nur langsam verblasst. Bei Patienten mit sehr empfindlicher Haut kann es auch passieren, dass diese schwache Verfärbung nie mehr vollständig verschwindet. Aufgrund der starken Hautreizung darf das Cantharidenpflaster nicht in der Selbstbehandlung angewendet werden, sondern bedarf eines besonders sachgerechten Umgangs durch einen ausgebildeten Therapeuten.

Dr. Thomas Rampp über seine Erfahrung aus der Praxis:

"In unserer Klinik gehört das Cantharidenpflaster zum festen Behandlungs-Repertoire und wir wenden es sehr erfolgreich bei Patienten mit Spinalkanalstenose und Kniegelenksarthrose an. Bei Letzteren ist es eine gute Alternative zur Blutegeltherapie, die bei manchen Patienten aufgrund der Einnahme von blutverdünnenden Medikamenten nicht durchgeführt werden kann. Aus meiner langjährigen Erfahrung mit dem Pflaster kann ich sagen, dass die Anwendung den Patienten sowohl kurz- als auch mittelfristig eine Schmerzlinderung verschaffen kann. Diese ist individuell verschieden und reicht von mehreren Wochen bis zu einem halben Jahr, in Einzelfällen sogar bis zu drei Jahren. Grundsätzlich sollte den Patienten vorab aber klar sein, dass es sich beim Cantharidenpflaster um keine sanfte Therapie handelt. Die durch das Pflaster hervorgerufenen Symptome gleichen einer künstlich erzeugten Verbrennung zweiten Gerades. Daher liegt in unserer Klinik ein besonderes Augenmerk auf der engmaschigen Wundversorgung des Blasenbereichs. Betonen möchte ich, dass eine fundierte Ausbildung des Therapeuten und die profunde Kenntnis dieses traditionellen Heilverfahrens unabdingbare Voraussetzung für seine Anwendung sind. Leider ist das Cantharidenpflaster heute fast in Vergessenheit geraten – es werden deutschlandweit noch etwa 2000 Anwendungen pro Jahr durchgeführt, einige davon in unserer Klinik."

Dr. Thomas Rampp

ist Oberarzt der Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin, Kliniken Essen-Mitte und Leiter des dortigen Instituts für Naturheilkunde, Traditionelle Chinesische und Indische Medizin. Weitere Informationen