Komplementäre und
Integrative Medizin
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Carstens-Stiftung: Schmerzen und Stress
Gesundheitstipps kompakt

Schmerz und Stress – ein untrennbares Team?

Von Felicia Kleimaier M.Sc., Prof. Dr. Alexander Rondeck

Schmerz Stress

Gestresste Menschen gab es schon immer, aber erst in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts fand der Begriff "Stress" durch den österreichisch-deutschen Arzt Hans Selye (1907-1982) allmählich den Weg in die Medizin. Selyes Forschungsarbeiten zeigten, dass anhaltende körperliche und seelische Belastungen zu ernsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können. Doch die Zusammenhänge, warum das so ist, waren damals längst nicht klar. Mittlerweile weiß man, wie Stress entsteht und welche Folgen er auf Körper, Geist und Seele haben kann. Zahlreichen Studien der letzten Jahre konnten zudem zeigen, welche Auswirkungen Stress gerade auch hinsichtlich vieler unserer Zivilisationskrankheiten wie beispielsweise Rückenschmerzen hat.

Schmerz und Stress – ein untrennbares Team?

Auch wenn wir erst seit dem 20. Jahrhundert ein Wort für Stress kennen, sind die Mechanismen, durch die er entsteht, so alt wie der Mensch selbst.

Stress zu empfinden und darauf reagieren zu können, verdanken wir einem ausgefeilten physiologischen System, dem vegetativen Nervensystem und der Ausschüttung unserer Stresshormone. Das vegetative Nervensystem besteht aus Sympathikus und Parasympathikus. Die sympathischen und die parasympathischen Anteile arbeiten in gegenseitiger Ergänzung: teils gegeneinander (antagonistisch), teils miteinander (synergistisch). Über den Sympathikus werden hauptsächlich leistungsfördernde und über den Parasympathikus hauptsächlich erholungsfördernde Signale gegeben. Während der Sympathikus den Organismus auf eine Aktivitätssteigerung einstellt, überwiegt der Parasympathikus in Ruhe- und Regenerationsphasen. In Sekundenschnelle entscheidet unser Körper, wie er in zunächst unübersichtlichen Situationen reagieren soll. Zu Urzeiten hatte diese Entscheidung mit Fliehen oder Kämpfen zu tun. War das Raubtier besiegt oder außer Reichweite, war der Stress erstmal vorbei und der Körper konnte sich regenerieren. Der große Unterschied zu damals ist, dass wir heute andauernd unzähligen "Gefahren" ausgesetzt sind. Diese "Raubtiere" haben Namen wie ständige Erreichbarkeit, hoher Leistungsdruck und Überforderung. Fehlt die Regeneration, führt das zu chronischem Stress.

Wie sich Stress und Schmerz gegenseitig beeinflussen

Stehen wir unter Daueranspannung kann das auf längere Sicht nicht nur psychische, sondern auch körperliche Auswirkungen auf uns haben. Im Jahr 2015 gab es in Deutschland über 38 Millionen Arztbesuche aufgrund von Rückenschmerzen. Schmerzen des Bewegungsapparates zählen dabei zu den häufigsten Ursachen, warum Ärzte überhaupt aufgesucht werden. Gleich an zweiter Stelle stehen psychische Probleme. Schmerz und Stress zählen also zu den häufigsten Beschwerden der Deutschen und dass beides in direktem Zusammenhang steht, liegt nahe. Warum?

Unser Körper ist so eingerichtet, dass der entstandene Stress durch punktuelle körperliche Leistungssteigerung abgebaut werden kann. Wenn der Urmensch also kämpfte oder floh, reduzierte sich der Stresslevel im Körper automatisch. Der moderne Mensch hingegen wurde mehr und mehr auf kognitive Lösungsfindung getrimmt. Stellen Sie sich vor, Sie arbeiten an einem wichtigen Projekt und der Abgabetermin dafür rückt immer näher. Dann steht Ihr Chef in der Tür und möchte jede Menge Änderungen. Zeitlich ist das kaum zu schaffen, der Termin aber bleibt gleich. Am liebsten würden Sie wegrennen. Doch Sie sitzen in Ihrem Büro, müssen weiterarbeiten und sitzen den Stress am Schreibtisch buchstäblich aus. Ihr Körper kommt in eine extreme Stresssituation. In Sekundenschnelle schüttet Ihr Körper einen Cocktail an Hormonen aus, was Ihren Körper handlungsbereit macht, mit direkten Auswirkungen auf Atmung und Kreislauf, aber vor allem auf die Muskulatur. Die Körperspannung erhöht sich dadurch enorm und ohne eine Art körperlichen Stressabbau können anhaltende Verspannungen und dadurch Schmerzen entstehen.

Die Daueranspannung der Muskulatur und die fehlende Bewegung im Alltag führen dazu, dass die Muskeln weniger durchblutet, weniger mit Nährstoffen versorgt und dadurch schmerzsensibler werden. Das kann anhaltende Schmerzen im Körper verursachen wie: Rückenschmerzen mit vorwiegend Schulter-Nacken-Beschwerden, Fehlbelastungen wie Zähnepressen, Kiefergelenksschmerzen, Kopfschmerzen und muskulären Dysbalancen.

Sind wir längere Zeit zu vielen Stressoren ausgesetzt, führt das zu einer dauerhaften Aktivierung des sympathischen Nervensystems. Die Empfindlichkeit unseres Notfallsystems wird dadurch erhöht. Dies geht zu Lasten des parasympathischen Nervensystems, also unserem Erholungssystem. Um beide Systeme ausgeglichen zu halten, benötigen wir ausreichend Erholungsphasen im Alltag, freie Wochenenden und erholsame Urlaube, so dass Anspannungs- und Entspannungsphasen in
der Balance bleiben.

Schaffen wir diesen Ausgleich nicht, kommen auf lange Sicht gesehen unsere Stress- und Regenerationshormone wie Serotonin, Melatonin, Noradrenalin, Adrenalin, Glutamat, GABA (Gamma-Aminobuttersäure) und Kortisol aus dem Takt.

Welche Rolle spielen Hormone im Schmerzgeschehen?

Unser Hormonhaushalt ist sehr fein aufeinander abgestimmt. Bei länger anhaltendem Stress kommt es meistens zu einem Missverhältnis unter den Hormonen. Bestimmte Hormone werden dabei übermäßig verbraucht (meist Serotonin), während andere Hormone im Überschuss vorliegen. Auch das kann Auswirkungen auf unsere Schmerzwahrnehmung haben.

Ein Mangel an Serotonin kann dazu führen, dass Schmerzen intensiver wahrgenommen werden, da die Sensibilität der Schmerzrezeptoren angehoben wird. Serotonin ist zudem maßgeblich an der gesamten Schmerzansteuerung beteiligt.

Anhand des Melatonins lässt sich die hormonelle Schlafqualität ablesen. Ist unser Schlafhormon erniedrigt, ist der Schlaf oberflächlicher und die muskuläre Entspannung gleichzeitig geringer.

Die beiden Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin steuern direkt und indirekt über das vegetative Nervensystem die Spannung der Muskulatur. Sowohl zu hohe Werte, die die Muskulatur nicht mehr entspannen lassen, als auch erniedrigte Werte, die sich in Form von Kraftminderung und damit verbundenen Schmerzen äußern, beeinflussen den Schmerz.

Glutamat - GABA - Gleichgewicht: Glutamat ist vielen bekannt als Geschmacksverstärker. Es ist aber auch ein Botenstoff im synaptischen Spalt, der die Zellen erregt. Haben wir zu viel von Glutamat, werden die Zellen übererregt, was zu Verspannungen führen kann.

Der Gegenspieler von Glutamat ist GABA (Gamma-Aminobuttersäure). Dieser hat eine beruhigende Wirkung auf die entsprechenden Zellen. Bei einem Ungleichgewicht zu Gunsten der erregenden Wirkung von Glutamat sind sowohl die Nerven- als auch die Muskelzellen und somit das muskuläre System dauerhaft übererregt und angespannt. Ein mögliches Beispiel: nächtliche Wadenkrämpfe.

Die Zellversorgung als Ursache von Schmerzen

Neben den hormonellen Einflüssen auf das Schmerzempfinden spielt auch die Nährstoffversorgung unserer Muskelzellen eine entscheidende Rolle.

In unseren (Muskel-)Zellen befinden sich so genannte Mitochondrien. Sie sind die Kraftwerke unserer Zellen. Damit diese Kraftwerke ausreichend Energie (Adenosintriphosphat – ATP) erzeugen können, bedarf es ähnlich wie bei einem Auto ausreichend Treibstoff, Schmieröl und viele weitere Komponenten. Wenn ein Stoff fehlt, wird weniger Energie erzeugt und der Muskel kann nicht mehr die komplette Leistung erbringen. Um dauerhaft leistungsfähig zu sein, benötigt die Zelle bestimmte Stoffe. Die Mikronährstoffe Vitamin B2, B3, Eisen und Q-10 sind für die zelluläre Energiegewinnung (Adenosintriphosphat, ATP) dabei besonders wichtig. Zusätzlich haben auch Magnesium, Zink, Vitamin B1, B6, B12 und Folsäure eine unterstützende Funktion. Fehlt einer oder auch mehrere dieser Stoffe, ergeben sich muskuläre Schmerzen. Bereits leichte körperliche Anstrengung kann zur Überanstrengung führen.

Was kann ich tun, um Stress zu vermeiden?

Sind Anspannungs- und Erholungsphasen ausgeglichen, bleiben wir dauerhaft leistungsfähig. Denn ein gesundes Maß an Stress (Eustress) erhöht die Aufmerksamkeit, die Leistungsfähigkeit und die Motivation und befähigt uns zu außergewöhnlichen Leistungen. Und mehr noch: Je mehr Lösungen wir für Stresssituationen finden, desto größer wird unsere Resilienz (Widerstandsfähigkeit). Im richtigen Maß kann Stress also die Würze unseres Lebens sein, wie Selye so
schön sagte. Beschwerden entstehen erst dann, wenn immer häufiger Stress auftritt und akuter Stress zu chronischem wird. Um das zu vermeiden, gilt es ein paar Dinge zu beachten:

1. Ausreichend Bewegung im Alltag
Durch unsere überwiegend sitzenden Tätigkeiten leiden wir fast alle an Bewegungsmangel. Bewegung hilft uns aber, Stress körperlich abzubauen. Verspannungszuständen und Fehlhaltungen kann so entgegengewirkt werden.

Schaffen Sie einen Ausgleich zu Ihrem Alltag, indem Sie etwas für Ihren Körper tun. Das kann sowohl im Form eines gemäßigten Ausdauersports, als auch in Form von sanften Sportarten wie Yoga, Qi-Gong etc. sein.

2. Gesunde und ausgewogene Ernährung
Eine gesunde und ausgewogene Ernährung versorgt unseren Körper mit ausreichend Mikronährstoffen, die essentiell sind für eine gute Zellfunktion. Vermeiden Sie industriell verarbeitete Lebensmittel, zu viel Zucker und Alkohol. Achten Sie auf regionale und saisonale Lebensmittel, um Qualitätsverluste zu vermeiden. Halten Sie regelmäßige Mahlzeiten ein und nehmen Sie sich außerdem Zeit zu essen. Handys oder Fernseher sind dabei tabu.

3. Mentale Faktoren
Bei stressbedingten Beschwerden geht es meistens auch darum, eigene Verhaltensmuster zu erkennen und herauszufinden, was das richtige Maß für einen selbst ist. Wie viel Stress können Sie sich zumuten? Wie gehen Sie persönlich mit Stress um? Finden Sie heraus, welche Haltung Sie gegenüber Ihrem Leben, der Arbeit und Ihrem Umfeld einnehmen. Behalten Sie sich eine positive Grundhaltung und achten Sie auf Ihre ganz eigenen Bedürfnisse.

4. Entspannung und Regeneration
Externer Stress, egal ob beruflich oder privat, steuert das vegetative Nervensystem und auch die hormonelle Stressantwort. Erst wenn mentale Stressoren abgeschwächt werden, beruhigt sich auch das vegetative Nervensystem. Finden Sie heraus, wie Sie sich mental entspannen können. Meditation und Achtsamkeitsübungen führen zu Entspannung. Aber auch ein einfacher Spaziergang in der Natur kann das richtige für Sie sein.

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Viele Abläufe in unserem Körper nehmen einen direkten Einfluss auf Schmerzentstehung, Schmerzverstärkung und Schmerzwahrnehmung. Längere oder komplexere Schmerzgeschehnisse müssen daher genauer unter die Lupe genommen werden, um die Zusammenhänge der schmerzverursachenden Faktoren herauszufinden. Es lohnt sich, Schmerzsyndromen auf mehreren Ebenen zu begegnen und sich anhand von Laboranalysen ein Bild der hormonellen Regulation und der Zellversorgung zu machen. Anhand der Befunde kann dann eine optimale und individuelle Therapie abgeleitet werden. Bei unseren Patienten behandeln wir Schmerzen erfolgreich mit manuellen Therapieverfahren wie Osteopathie und Myoreflextherapie. Zusätzlich nutzen wir die chinesische Akupunktur und weitere komplementärmedizinische Therapieverfahren. Werden laborchemisch Defizite im Hormon- oder Mikronährstoffhaushalt festgestellt, können diese durch bestimmte pflanzliche Präparate, Vitamin- und Nährstoffpräparate ausgeglichen werden. Die Erfahrung zeigt, dass Stress und Schmerz nicht voneinander zu trennen sind und genauer beleuchtet werden müssen. Meistens erfordert dies, wie oben beschrieben, eine Therapie auf mehreren Ebenen.

Dieser Artikel erschien exklusiv in der Ausgabe 1/2019 der Mitgliederzeitschrift von Natur und Medizin e.V.

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Felicia Kleimaier (M.Sc.)

Felicia Kleimaier hat Komplementärmedizin (B.Sc.) und Gesundheitswissenschaften (M.Sc.) studiert und arbeitet zusammen mit Prof. Rondeck im Zentrum für Stress,- Schmerz- und Sportmedizin in München. Ihr Schwerpunkt liegt in der Praxis auf der vegetativen Therapie von Stress- und Schmerzsymptomen und der Ernährung. Seit
2017 ist Sie im Promotionsprogramm der Carstens-Stiftung.

Prof. Dr. med. Alexander Rondeck

Alexander Rondeck leitet das ZSMED – Zentrum für Stress-, Schmerz- und Sportmedizin in München. Die Therapie im ZSMED besteht aus der Kombination von Schul- und Komplementärmedizin. Im Februar 2017 gründete er das HeLi-Institut für angewandte Lebenswissenschaften und Lebensführung. Mehr dazu unter: www.zsmed.de und www.heli-institut.com. Das Institut informiert über aktuelle Erkenntnisse aus den unterschiedlichen Bereichen der Lebenswissenschaften.