Komplementäre und
Integrative Medizin
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Forschungsfeld KIM bei Depression

Forschungsfeld KIM bei Depression

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Depression Integrative Medizin Komplementärmedizin

Schon vor der Corona-Pandemie stellten Depressionen eine massive patientenindividuelle wie auch gesamtgesellschaftliche Herausforderung dar. Die Komplementäre und Integrative Medizin (KIM) kann mit Sicherheit einen Beitrag dazu leisten, Lösungen zu finden. Doch in welchem Maße wird das Feld „KIM bei Depression“ überhaupt beforscht?

Eine vor Kurzem veröffentlichte Übersicht (1) gibt fundierten Aufschluss über Forschungsaktivitäten, deren internationale Verteilung sowie wichtige Themenfelder in diesem Bereich. Zu den einflussreichsten AutorInnen auf dem Gebiet zählen ehemalig und aktuell von der Carstens-Stiftung geförderte WissenschaftlerInnen.

Gesellschaftliche Herausforderung

Weltweit werden etwa 300 Millionen Menschen durch Depressionen beeinträchtigt. (2) Im Vergleich mit Krankheiten, die keine Gemütsstörungen sind, schränken Depressionen die Erkrankten etwa 4-5 mal häufiger ein – in der Bildung, auf der Arbeit, im Haushalt. (3) Damit sind Depressionen nicht nur eine enorme Bürde für die Betroffenen und das Gesundheitssystem, sondern auch eine wirtschaftliche Belastung für die Gesellschaft. (4, 5) Die jährlich durch Depressionen verursachten Kosten werden allein in Europa auf rund 118 Milliarden EUR geschätzt. (6) Die Corona-Pandemie hat die Lage noch verschärft, Präventions- und Behandlungsmaßnahmen werden dringend benötigt. (7)

Depression

Depression

Möglichkeiten und Grenzen einer homöopathischen Begleitung, Komplementärmedizin und Ordnungstherapie

Annette Kerckhoff · Otto Ziehaus

ISBN: 978-3-945150-64-1
Erscheinungsjahr: 2016, 2. Aufl.

6,90 EUR

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Versorgungssituation

Die Standardtherapien bei Depressionen sind Antidepressiva und Psychotherapie, entweder einzeln oder in Kombination. (8) Der medikamentöse Ansatz, typischerweise mit Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern, hat jedoch Grenzen, da zum einen etwa 30% der PatientInnen auf diese Medikamente nicht ansprechen (9) und zum anderen Nebenwirkungen wie Mundtrockenheit, Gewichtszunahme, sexuelle Dysfunktion oder Schlafstörungen (10) immer wieder zu Therapieabbrüchen (9) führen. Psychotherapie erzielt zwar zufriedenstellende Resultate (11), kann aber oft nur nach langen Wartezeiten und damit nicht in dem Maße angeboten werden, wie sie eigentlich gebraucht wird. (12)

Angesichts dieser Probleme verwundert es nicht, dass depressive PatientInnen verstärkt Komplementäre und Integrative Medizin (KIM) in Anspruch nehmen. (8, 13, 14) Doch mit welcher wissenschaftlichen Aktivität wird dieses Feld eigentlich beforscht? Die vorliegende Analyse gibt Aufschluss.

Forschungsfeld gewinnt an Bedeutung

Insgesamt 1.710 Studien zum Thema – veröffentlicht in englischer Sprache zwischen 1993 und 2022 – konnten identifiziert werden. Dabei zeigte sich eine steigende Tendenz der Zahl der Veröffentlichungen, ab 2002 sogar schnell ansteigend, mit dem bisherigen Höhepunkt im Jahre 2021 mit 179 Publikationen. Das Forschungsfeld wächst demnach rapide.

Anzahl der Veröffentlichungen zum Themenbereich "KIM bei Depression" nach Jahr

Abb. 1: Anzahl der Veröffentlichungen zum Themenbereich "KIM bei Depression" nach Jahr

Internationale Forschungsaktivität

Die USA verzeichnen mit 574 die meisten Veröffentlichungen, gefolgt von China und Australien (219, respektive 117 Veröffentlichungen). Das produktivste Institut ist mit 21 Arbeiten die Harvard University in den USA, gefolgt von der Universität Duisburg-Essen in Deutschland und der Chengdu University of Traditional Chinese Medicine in China mit je 18 Studien. Mit rund 444 Zitationen sind die Publikationen von Harvard die einflussreichsten.

Die Forschungsaktivitäten zentrieren sich in den Vereinigten Staaten, wobei die amerikanischen Institute relativ eng mit Einrichtungen in Australien, China und Kanada kollaborieren. Deutschland und die Schweiz arbeiten ebenfalls immer wieder zusammen. Dennoch fällt die Zahl von länderübergreifenden, gemeinsamen Forschungsarbeiten deutlich hinter dem unabhängigen Output innerhalb eines einzelnen Landes zurück. Hier gibt es Potenzial, sich interprofessionell und international besser auszutauschen und zu vernetzen.

Einflussreiche AutorInnen

Die zehn produktivsten AutorInnen auf dem Gebiet „KIM bei Depression“ trugen zusammengenommen 147 Arbeiten bei; das sind 8,6% aller Veröffentlichungen. Sie stammen vornehmlich aus den USA, Australien und Deutschland. Platz 1 belegt Prof. Jon Adams von der University of Technology Sydney (Australien) mit 21 Einträgen; er ist auch der einflussreichste Autor. Prof. Holger Cramer von der Universität Tübingen (Deutschland), der bereits in mehreren Forschungsprojekten von der Carstens-Stiftung gefördert wurde und wird, belegt mit 19 Veröffentlichungen Platz 2. In den Top Ten befinden sich mit Prof. Jost Langhorst (Sozialstiftung Bamberg, Deutschland), Prof. Romy Lauche (Southern Cross University, Australien) und Prof. Gustav Dobos (Universität Duisburg-Essen, Deutschland) weitere ehemalig oder aktuell von der Carstens-Stiftung geförderte WissenschaftlerInnen. Unter häufig auftauchenden Co-AutorInnen finden sich mit Rainer Lüdtke (Deutsches Stiftungszentrum) ein ehemaliger Mitarbeiter der Carstens-Stiftung und mit Prof. Claudia Witt (Universität Zürich, Schweiz) die damalige Inhaberin der Stiftungsprofessur für Komplementärmedizin, die die Carstens-Stiftung von 2008-2013 ermöglichte. Prof. Andreas Michalsen ist Vorstandsvorsitzender der Carstens-Stiftung, Dr. Anna Paul die Vorstandsvorsitzende der Fördergemeinschaft Natur und Medizin e.V.

Abb. 2: Beziehung der (Co.-)AutorInnen untereinander

Abb. 2: Beziehung der (Co.-)AutorInnen untereinander


Zu den Fachzeitschriften mit den meisten Veröffentlichungen zum Thema zählen das Journal of Alternative and Complementary Medicine, Complementary Therapies in Medicine und Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine. Das Medium mit den meisten Zitationen war das Journal of the American Medical Association (JAMA).

Schlagworte und Trends

Durch eine Analyse des gemeinsamen Auftretens (Kookkurrenz) von Schlagwörtern konnten sechs thematische Cluster gebildet werden. Das rote Cluster zeigt die Begriffe, die hauptsächlich mit KIM-Verfahren assoziiert werden. Das orangene Cluster beschreibt den Bereich Depression und Angst. Die gelben und violetten Regionen zeigen typische KIM-Verfahren, die bei Depressionen untersucht wurden. Die Schlagworte im blauen Cluster sind im Zusammenhang mit Krebserkrankungen und Lebensqualität gefallen, was nahelegt, dass viele Studien sich auf den Einsatz von KIM bei depressiven PatientInnen in der Onkologie fokussiert haben. Der grüne Bereich bezieht sich auf Krankheitsursachen (Ätiologie) und -mechanismen.

Innerhalb der KIM-Verfahren erhielten Akupunktur und Yoga die meiste Aufmerksamkeit. Zusätzlich fällt Krebs, insbesondere Brustkrebs, als Schlagwort häufig.

Abb. 3: Kookkurrenz von Schlagworten

Abb. 3: Kookkurrenz von Schlagworten

Um Themen zu bestimmen, die aktuell auf dem Vormarsch sind, analysierten die AutorInnen diejenigen Schlagworte, welche über drei Jahre mindestens fünfmal auftauchten. Zu den trendenden Schlagworten in der Forschung zu „KIM bei Depression“ gehören demnach Entzündung (inflammation), Bewertungsskala (rating scale), psychische Belastung (psychological stress) und Achtsamkeit (mindfulness).

Fazit

Die vorliegende Arbeit gibt einen fundierten Überblick über die Forschungsaktivitäten zu komplementären und integrativen Interventionen bei Depressionen. Es zeigt sich, dass das Thema zunehmend beforscht wird, was auch den wachsenden Bedarf an Maßnahmen zur Vorbeugung und Behandlung widerspiegelt. Zukünftige Studien sollten daher Wert auf die klinische Anwendbarkeit und den Patientennutzen legen. Interessant ist in diesem Zusammenhang der sich abzeichnende Schwerpunkt auf Entzündungen im aktuellen Forschungstrend, denn tatsächlich gibt es bereits Hinweise darauf, dass Entzündungen durch Veränderung der Gehirn-Chemie eine Rolle in der Entwicklung (Pathophysiologie) von Depressionen spielen können. (15)

Literatur zu "Forschungsfeld KIM bei Depression"

1) Zhao FY, Xu P, Zheng Z, Conduit R, Xu Y, Yue LP, Wang HR, Wang YM, Li YX, Li CY, Zhang WJ, Fu QQ, Kennedy GA. Managing depression with complementary and alternative medicine therapies: a scientometric analysis and visualization of research activities. Front Psychiatry. 2023 Nov 15;14:1288346. doi: 10.3389/fpsyt.2023.1288346. PMID: 38034915; PMCID: PMC10684695. Link

2) Herrman, H, Kieling, C, McGorry, P, Horton, R, Sargent, J, and Patel, V. Reducing the global burden of depression: a lancet-world psychiatric association commission. Lancet. (2019) 393:e42–3. doi: 10.1016/s0140-6736(18)32408-5. Link

3) Baek, JH. Cognition in depression. Psychiatr Ann. (2022) 52:91–2. doi: 10.3928/00485713-20220217-01. Link

4) Greenberg, PE, and Birnbaum, HG. The economic burden of depression in the US: societal and patient perspectives. Expert Opin Pharmacother. (2005) 6:369–76. doi: 10.1517/14656566.6.3.369. Link

5) Stoudemire, A, Frank, R, Hedemark, N, Kamlet, M, and Blazer, D. The economic burden of depression. Gen Hosp Psychiatry. (1986) 8:387–94. doi: 10.1016/0163-8343(86)90018-6. Link

6) Sobocki, P, Jönsson, B, Angst, J, and Rehnberg, C. Cost of depression in Europe. J Ment Health Policy Econ. (2006) 9:87–98. Link

7) Herrman, H, Patel, V, Kieling, C, Berk, M, Buchweitz, C, Cuijpers, P, et al. Time for united action on depression: a lancet-world psychiatric association commission. Lancet (London, England). (2022) 399:957–1022. doi: 10.1016/s0140-6736(21)02141-3. Link

8) Haller, H, Anheyer, D, Cramer, H, and Dobos, G. Complementary therapies for clinical depression: an overview of systematic reviews. BMJ Open. (2019) 9:e028527. doi: 10.1136/bmjopen-2018-028527. Link

9) Chan, YY, Lo, WY, Yang, SN, Chen, YH, and Lin, JG. The benefit of combined acupuncture and antidepressant medication for depression: a systematic review and meta-analysis. J Affect Disord. (2015) 176:106–17. doi: 10.1016/j.jad.2015.01.048. Link

10) Wang, SM, Han, C, Bahk, WM, Lee, SJ, Patkar, AA, Masand, PS, et al. Addressing the side effects of contemporary antidepressant drugs: a comprehensive review. Chonnam Med J. (2018) 54:101–12. doi: 10.4068/cmj.2018.54.2.101. Link

11) Munder, T, Flückiger, C, Leichsenring, F, Abbass, AA, Hilsenroth, MJ, Luyten, P, et al. Is psychotherapy effective? A re-analysis of treatments for depression. Epidemiol Psychiatr Sci. (2019) 28:268–74. doi: 10.1017/s2045796018000355. Link

12) Grünzig, SD, Baumeister, H, Bengel, J, Ebert, D, and Krämer, L. Effectiveness and acceptance of a web-based depression intervention during waiting time for outpatient psychotherapy: study protocol for a randomized controlled trial. Trials. (2018) 19:285. doi: 10.1186/s13063-018-2657-9. Link

13) Kessler, RC, Soukup, J, Davis, RB, Foster, DF, Wilkey, SA, Van Rompay, MI, et al. The use of complementary and alternative therapies to treat anxiety and depression in the United States. Am J Psychiatry. (2001) 158:289–94. doi: 10.1176/appi.ajp.158.2.289. Link

14) Thachil, AF, Mohan, R, and Bhugra, D. The evidence base of complementary and alternative therapies in depression. J Affect Disord. (2007) 97:23–35. doi: 10.1016/j.jad.2006.06.021. Link

15) Majd, M, Saunders, EFH, and Engeland, CG. Inflammation and the dimensions of depression: a review. Front Neuroendocrinol. (2020) 56:100800. doi: 10.1016/j.yfrne.2019.100800. Link

Michèl Gehrke, M.A.
Michèl Gehrke, M.A.

Pressesprecher

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