Komplementäre und
Integrative Medizin
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Studien kurz und knapp

Zu viele Antibiotika für Kinder

Von Michèl Gehrke

Pädiatrie Antibiotika

Unnötige Überversorgung: 2009 hat jedes zweite Kind in Deutschland zwischen 3 und 6 Jahren Antibiotika erhalten. Oft ist dies jedoch unnötig und erhöht nur die Möglichkeit unerwünschter Nebenwirkungen.

Laut einer Untersuchung des Online-Portals Faktencheck Gesundheit, die sich hauptsächlich auf Routinedaten der GEK bzw. BARMER GEK stützt, hat im Jahre 2009 in Deutschland jedes zweite Kind zwischen 3 und 6 Jahren Antibiotika erhalten. 45% der 0-2 Jährigen ebenfalls. Bei den Kindern und Jugendlichen bis 17 Jahre sind es noch immer 38%. Damit schlucken Kinder weit mehr Antibiotika als Erwachsene (33%).

 

Was macht Antibiotika wertvoll?

Wie sich aus dem Namen ableiten lässt, haben Antibiotika das Potential, Bakterien zu töten, oder diese in ihrem Wachstum zu hemmen. Dies macht sie so wertvoll bei gefährlichen bakteriellen Infektionskrankheiten, wie etwa Lungenentzündungen, Hirnhautentzündungen, Typhus oder Tuberkulose. Antibiotika wirken jedoch nicht bei allen Infektionskrankheiten – und überhaupt nicht bei solchen, die von Viren verursacht werden.

 

Gefährliche Überversorgung

Genau in diesem Zusammenhang wird die hohe Zahl an Antibiotika-Verordnungen für Kinder bedenklich. Erkrankungen  wie Husten, Erkältungen, Halsschmerzen oder Grippe sind bei Kindern häufig Anlass für eine Antibiotika-Therapie. Aber in 8 von 10 Fällen werde diese Erkrankungen durch Viren hervorgerufen, sodass das verordnete Antibiotikum keinerlei positive Wirkung zeigen kann.

Keine positive Wirkung bedeutet jedoch nicht die Abwesenheit jeder Wirkung. Häufig ausgelöste Nebenwirkungen bei Kindernsind etwa Überempfindlichkeitsreaktionen, Allergien, Störungen des Verdauungstraktes sowie daraus resultierende Veränderung der Darmflora. Die Immunabwehr des Patienten kann dadurch eingeschränkt sein, sodass er bspw. anfällig gegen Pilzinfektionen wird.

Am schwerwiegendsten ist jedoch die möglicheEntwicklung von Resistenzen: Bakterien-Stämme können sich durch Mutation auf einen Stoff einstellen. Im Ernstfall, d.h. bei einer schwerwiegenden Erkrankung, bei der Antibiotika nötig sind, helfen diese dann nicht mehr – ein Problem, das nicht nur das einzelne Individuum betrifft.

Es gilt also abzuwägen, wann ein Antibiotikum tatsächlich sinnvoll ist und wann die Risiken überwiegen. Selbst bei Entzündungen der Nasennebenhöhlen, des Mittelohres und der Mandeln ist die Antibiotika-Einnahme nicht die Therapiemethode der ersten Wahl.Dies haben neuere Untersuchungen gezeigt, die sich teilweise in den Behandlungsleitlinien niedergeschlagen haben.

 

Nasennebenhöhlenentzündung

Eine Studie an der Washington University School of Medicine in St. Louis (1) hat gezeigt: Antibiotika lindern weder die Symptome, noch die Dauer einer Nasennebenhöhlenentzündung (Sinusitis).

166 Patienten, die unter einer akuten Bakterien-Infektion der Nasennebenhöhlen litten, wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine Hälfte nahm zehn Tage lang ein häufig verordnetes Antibiotikum ein, die andere ein Placebo. Alle Teilnehmer hatten darüber hinaus Zugriff auf die gleichen Medikamente zur Linderung von Schmerzen, Fieber, Verstopfung der Nase und Husten.

Die Symptome der Patienten wurden zur Baseline, nach 3, 7, 10 und 28 Tagen bewertet. Bei beiden Gruppen war die Entzündung meist nach 10 Tagen ausgeheilt, oder hatte sich signifikant verbessert. Ebenso hatten beide Gruppen die Medikamente zur Linderung der Symptome etwa in gleichem Maße genutzt. Das bedeutet, dass das Antibiotikum nicht besser wirkte, als ein Placebo.

 

Mittelohrentzündung

Im Falle der Mittelohrentzündung (Otitis media) gab es in den letzten Jahren sogar Anpassungen der Leitlinien in der Frage, wann ein Antibiotikum angezeigt ist. In einer Zusammenschau aller wissenschaftlichen Studien weltweit kam man zu dem Schluss, dass die Routinegabe von Antibiotika nicht sinnvoll ist.

Da die Spontanheilungsrate betroffener Kinder bei 80 Prozent liegt – das bedeutet 8 von 10 Kinder mit Mittelohrentzündung werden von selbst wieder gesund, ganz ohne Medikamente – steht der Nutzen hier meist nicht im Verhältnis zu möglichen Nebenwirkungen.

Ausnahmen sind vor allem Säuglinge und Kinder bis 2 Jahren, die schwer krank wirken, hohes Fieber haben, eventuell unter einer beidseitigen Mittelohrentzündung oder länger als 48 Stunden leiden.

Mandelentzündung

Lange Zeit galt die antibiotische Behandlung bei einer durch Streptokokken verursachten Mandelentzündung (Streptokokken-Tonsillitis) als Standardtherapie. Hauptsächlich aus Befürchtung eines rheumatischen Fiebers als Folgeerkrankung.

Dies ist jedoch relativiert worden. So sieht die 2009er Ausgabe des Handbuchs Infektionen bei Kindern und Jugendlichen http://www.dgpi.de/publikationen.html der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) die „Behandlungsindikation […] nicht mehr primär in der Verhinderung des akuten rheumatischen Fiebers und anderer Folgekrankheiten [begründet]. Wenn die verkürzte Ansteckungsgefahr vernachlässigt werden könnte und der Patient auf die gering verkürzte Leidensdauer verzichtet, könnte bei gesicherter Nachuntersuchung im Einzelfall auch ohne Antibiotika behandelt werden.“

Umdenken

Wenn in den wohl meisten Fällen die Einnahme von Antibiotika bei Kindern nicht notwendig ist und sogar die Leitlinien eine solche Therapie nicht zwingend vorsehen, stellt sich die Frage: Wieso werden so viele Antibiotika verordnet?

Prof. Dr. Gerd Glaeske von der Universität Bremen und Autor des Faktenchecks „Antibiotika bei Kindern“ zieht als Erläuterung ein Missverständnis heran. Er fordert, dass Menschen Antibiotika nicht mehr als Allheilmittel verstehen. Das nimmt Ärzte, aber auch Eltern in die Verantwortung.

Aus Sicht der Carstens-Stiftung ist es in vielen Fällen – in Absprache mit einem Arzt – sinnvoll, die Symptome einer Sinusitis, Otitis media oder einer Streptokokken Tonsillitis durch Naturheilkunde und Homöopathie zu lindern. Die Komplementärmedizin hält dafür zahlreiche unterstützende und begleitende Maßnahmen gerade in der Kinderheilkunde bereit.

Literatur

1) Faktencheck-Gesundheit: Antibiotika bei Kindern in Deutschland Link

2) Amoxicillin for acute rhinosinusitis: a randomized controlled trial. Garbutt JM, Banister C, Spitznagel E, Piccirillo JF. JAMA. 2012 Feb 15;307(7):685-92. Abstract

3) Wissenschaft.de: Antibiotika in diesem Fall überflüssig Link

Michèl Gehrke

Michèl Gehrke

M.A. Pressesprecher der Karl und Veronica Carstens-Stiftung

Telefon: 0201 56 305 61

E-Mail: m.gehrke@carstens-stiftung.de